Portrait Prof. Dr. med. Johannes Erdmann
"Ernährungsexperten sollten bei ihren Aussagen viel vorsichtiger sein!"

Portrait Prof. Dr. med. Johannes Erdmann

Prof. Dr. med. Johannes Erdmann; Foto: Hochschule Weihenstephan-Triesdorf

Seine Forschungsschwerpunkte sind die Therapie von Adipositas und Diabetes mellitus Typ 2: Prof. Dr. med. Johannes Erdmann von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf spricht über seinen Werdegang, die Qualität von Ernährungsstudien und die Tücken in der Ernährungskommunikation.

Vom Assistenzarzt zum Professor der Ernährungsmedizin

Prof. Dr. med. Johannes Erdmann ist Internist, Endokrinologe, Diabetologe und Ernährungsmediziner. „Dass ich mich für die Ernährungsmedizin entschieden habe, war eher ein Zufall“, erläutert Erdmann. „Während meiner Assistenzarzt-Zeit am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM) habe ich in der Onkologischen Tagesklinik gearbeitet. Die Malnutrition war mein erster Berührungspunkt mit ernährungsspezifischen Themen. Mein Ziel war es, die Kachexie* bei Tumorpatienten zu lindern. Inspiriert durch Prof. Dr. med. Volker Schusdziarra, haben sich die Themen Adipositas und Diabetes systematisch zu meinem wissenschaftlichen Zweig entwickelt.“
*krankhafte, sehr starke Abmagerung
Studiert hat Erdmann in Berlin und Heidelberg. Es folgte eine Ausbildung zum Facharzt für Innere Medizin in Heidelberg und eine Promotion zum Thema Osteoporose. 2006 hat er habilitiert und wurde 2011 auf die Professur für Ernährungsmedizin an die Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT) berufen. Reizvoll an seiner neuen Tätigkeit ist für ihn die räumliche Nähe zu den anderen Fachdisziplinen. „Der Austausch an einer Hochschule ist intensiver“, betont Erdmann. „Wir als Hochschule sind sowohl wissenschaftlich als auch praxisorientiert ausgelegt. Der Schwerpunkt liegt auf der Ausbildung der Studierenden. Dies spiegelt sich zum Beispiel in den Projekten wider – im Grunde lebt man das Thema Ernährung in seinen Facetten viel intensiver!“

Forschung und Lehre an der HSWT

Erdmann möchte an der HSWT die Forschung im Sektor Ernährung stärken: „Hochschulen befinden sich noch im Wandel. Der Auftrag der Hochschulen liegt in der angewandten Forschung – enge Kooperationen mit Partnern aus Wirtschaft und Gesellschaft sind wesentliche Faktoren für positive Entwicklungen!“
Die Förderung junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist ihm ein wichtiges Anliegen. Zurzeit betreut Erdmann zwölf Doktoranden an der TUM. Die aktuellen Forschungsthemen sind das Essverhalten bei Übergewicht, die Analyse von Ernährungsprotokollen sowie die Erweiterung der Energiedichtezentrierten Ernährungsberatung. Diese soll nun in unterschiedlichen Settings überprüft werden – außerhalb einer hochspezialisierten Universitätsambulanz.
„Das Konzept ist einfach umsetzbar und berücksichtigt die individuellen Ernährungsgewohnheiten“, erklärt Erdmann. „Das Ernährungsverhalten wurde über viele Jahre geprägt, eine völlige Änderung ist nicht realistisch. Die Energiedichtezentrierte Ernährungsberatung greift eher modulierend ein und zielt auf eine langfristige Umstellung des Essverhaltens ab.“

Ernährungsstudien – was steht da wirklich?

Die Lebenswelt der Patienten einbeziehen, individuelle Geschmacksvorlieben beachten – das sind wichtige Punkte in der Ernährungsberatung. Ernährungsfachkräfte sowie Experten aus Ernährungskommunikation und -bildung sollten zudem mit Forschungsmethoden sehr gut vertraut sein. „Jene, die Ernährungsempfehlungen in die Bevölkerung streuen, benötigen profunde Kenntnisse über Stärken und Schwächen von Studiendesigns“, unterstreicht der Ernährungsmediziner. „Sie sollten wissen, was man aus Studien ableiten kann und was nicht. Sie müssen sich den Schwächen der Studien klar sein und viel häufiger den Konjunktiv verwenden als sie das tun!“
Die Menge an Ernährungsinformationen ist so groß wie noch nie. Für Verbraucher wird es zunehmend schwieriger, sich zurechtzufinden. Jeder sucht sich aus der Flut an Daten letztlich die heraus, die zu seiner individuellen Lebenssituation passen.
Die isolierte Betrachtung von einzelnen Studienergebnissen sei allerdings ziemlich nutzlos, fasst Erdmann zusammen. Viele Studien seien zudem schlecht gemacht, hinzu komme noch die lange Latenzzeit von chronischen Erkrankungen. „Stellen wir uns vor, wir wollen ein Experiment nach pharmakologischem Standard und machen eine randomisierte kontrollierte Studie. Die Effekte einzelner Nahrungsbestandteile werden erst in vielen Jahren statistisch signifikant! Die experimentellen Gruppen müssten die vorgegebene Ernährungsweise über Jahrzehnte beibehalten, was unrealistisch ist! Die Ernährungswissenschaft ist daher letztendlich mit einer gewissen Unschärfe behaftet“, so Erdmann.
Dies stelle jedoch kein Argument gegen die Ernährungswissenschaft dar, betont der Ernährungsmediziner und fordert: „Um sichere Aussagen zu treffen, benötigen wir größere Studien, die sehr gut gemacht sind. Die EPIC-Studie (European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition) mit ihren fast 500.000 Teilnehmern ist da ein wunderbares Beispiel. Kleine Experimente wie ‚10 Studienteilnehmer ernähren sich 10 Tage lang vegan‘ sind nicht förderlich.“