Lebensmittel als Energieressource
Rückblick Wissenschaftsseminar: Energie sparen – Ressourcen nutzen

Die Teilnehmer des Seminars "Energie sparen  - Ressourcen nutzen".

Neue Impulse und Ideen zum Thema Energieeinsparung durch Vermeidung von Lebensmittelverschwendung gab es am 17. Februar 2016 in München.

Staatsminister Helmut Brunner und Dr. Wolfram Schaecke, Leiter des KErn, eröffneten das Wissenschaftsseminar zum Thema Lebensmittel als Energieressource unter dem Motto „Energie sparen – Ressourcen nutzen“ im Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.

Hintergrund des Projekts: Lebensmittelverluste vermeiden, Energie einsparen

Ein Team aus Expertinnen und Experten der Universität Stuttgart, dem Fraunhofer Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV und der Technischen Hochschule Deggendorf ging zwei Jahre lang der Frage nach, welches Energiepotenzial in der Verringerung von Lebensmittelverlusten steckt. Das Projekt wurde vom KErn koordiniert.

Um das Energiepotenzial bestimmen zu können, entwickelte die Universität Stuttgart am Institut für Siedlungswasserbau, Wassergüte- und Abfallwirtschaft ein System zur Ermittlung des Energieeintrags in Lebensmitteln, sowohl entlang der Wertschöpfungskette als auch für einzelne Lebensmittelkategorien, aber auch für ausgewählte Produkte mit dem Siegel "Geprüfte Qualität Bayern" (GQB). Das Fraunhofer IVV untersuchte den Einfluss von verschiedenen Verpackungssystemen auf die Haltbarkeit von Champignons und Schinken. Die zukunftsweisenden Studienergebnisse ermöglichen eine teilweise nicht unerhebliche Haltbarkeitsverlängerung bei gleichbleibender Produktqualität. Die Technische Hochschule Deggendorf entwickelte ein automatisiertes Filialdispositionssystem, um einerseits Lebensmittelverluste durch nicht mehr verkaufbare Lebensmittel ("Food Loss") zu vermeiden und gleichzeitig Umsatzverlusten bei Nichtverfügbarkeit ("Stock-outs") entgegenzuwirken.

Die Ergebnisse wurden am Wissenschaftsseminar vorgestellt.

Politik – Markt – Wissenschaft

„Es gibt nicht die eine richtige Lösung für all die großen Herausforderungen unserer Zeit“, betonte Dr. Gerd Leipold, Unternehmensberater und ehemaliger Geschäftsführer von Greenpeace-International, in seinem Impulsvortrag. „Die Lösungen, die wir suchen, setzen sich aus vielen einzelnen Resultaten zusammen!“ Es brauche eine Kombination von Maßnahmen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft.

Energieeinsparung fördern durch gezielte Maßnahmen entlang der Wertschöpfungskette

Potenziale zur Energieeinsparung durch Vermeidung von Lebensmittelverschwendung

Ziele und Konzeption des Projekts „Potenziale zur Energieeinsparung durch Vermeidung von Lebensmittelverschwendung“ stellte Dr. Malte Rubach vom StMELF vor. Ziel war es, die Energieverluste für die in Bayern ermittelten Lebensmittelverluste zu bilanzieren – das Vermeidungspotenzial für Lebensmittelverluste in Bayern liegt bei 1,31 Millionen Tonnen pro Jahr. Zudem sollten Ansatzpunkte identifiziert werden, die ein möglichst hohes Einsparpotenzial für Energieverluste aufweisen. Es wurden dabei drei Arbeitspakete geschnürt, die von den Projektpartnern bearbeitet wurden: Analyse des energetischen Fußabdrucks (Universität Stuttgart), aktive Verpackungskonzepte (Fraunhofer IVV) und intelligente Warenwirtschaftssysteme (Hochschule Deggendorf). Rubach hob hervor: „Erst wenn die Ansätze der Projektpartner – aus den drei unterschiedlichen Fachdisziplinen – zusammengebracht werden, formt sich ein sinnvolles Ganzes!“

Energieverschwendung durch Lebensmittelabfälle – Analyse, Bilanzierungsmodell und Energieeinsparpotenziale entlang der Wertschöpfungskette

In ganz Bayern betrage das Einsparpotenzial durch Lebensmittelabfälle rund 13.856 TJ pro Jahr, so Dipl.-Ing. Dominik Leverenz, Universität Stuttgart. Den größten Anteil daran haben die bayerischen Privathaushalte mit rund 6.465 TJ pro Jahr, gefolgt von der Außer-Haus-Verpflegung mit 3.708 TJ pro Jahr. Das primärenergetische Einsparpotenzial durch vermeidbare Lebensmittelverluste beträgt in der Landwirtschaft ca. 952 TJ pro Jahr, der Lebensmittelverarbeitung ca. 2.084 TJ pro Jahr und dem Lebensmittelhandel ca. 647 TJ pro Jahr. Der größte Energieeintrag je Kilogramm Lebensmittel ist in der Außer-Haus-Verpflegung anzutreffen. „Das liegt daran, dass in Kantinen, Betriebsrestaurants u. ä. viele Speisen erst nach dem Kochvorgang entsorgt werden. Buffetreste verzeichnen hierbei besonders große Energierucksäcke, da diese in der Regel noch zusätzlich warm gehalten werden“, erklärte Leverenz.

Zum Vortrag Dipl.-Ing. Dominik Leverenz pdf 1,2 MB

Reduzierung von Lebensmittelverlusten durch aktive Verpackungsmaterialien

„Lebensmittel unterliegen qualitativen Veränderungen“, erläuterte Dr. Peter Muranyi vom Fraunhofer IVV. „Diese können zum Beispiel durch chemische oder biologische Vorgänge bedingt sein – das hängt vom Produkt ab. Und daher sind die Anforderungen an Verpackungen auch unterschiedlich.“ Laut Muranyi sei es möglich, mittels aktiven Verpackungsmaterialien die Haltbarkeit von Lebensmitteln zu verlängern und somit Lebensmittelverluste zu reduzieren. Er präsentierte zwei Lösungsansätze – die sauerstoffzehrende und die feuchtigkeitsregulierende Verpackung. So konnte bei abgepacktem Kochschinken durch den Einsatz eines Sauerstoffabsorbers eine qualitätsmindernde Farbveränderung um vier Tage hinausgezögert und die Haltbarkeit um 20% erhöht werden. Die feuchtigkeitsregulierende Verpackung wirkt einer Kondenswasserbildung entgegen und führte bei gekühlten Champignons zu einer Haltbarkeitsverlängerung um zwei Tage. Der Mehrwert der Verpackung sei jedoch mit höheren Kosten verbunden, betonte Muranyi und fragte an, ob der Verbraucher bereit sei, mehr dafür zu zahlen.

Zum Vortrag Dr. Peter Muranyi pdf 1,3 MB

Optimierte Disposition und Prognose im Lebensmitteleinzelhandel

Die Ergebnisse des dritten Arbeitspaketes erläuterte Prof. Dr. Diane Ahrens von der Technischen Hochschule Deggendorf – es wurde ein Prototyp für ein leistungsfähiges Prognosesystem entwickelt, um die richtige Bestellmenge im Lebensmitteleinzelhandel zu ermitteln und somit Lebensmittelverluste im Handel zu reduzieren. Die mobile iPDS-App wurde über mehrere Wochen in fünf Filialen eines Lebensmitteldiscounters getestet. Eine sehr gute Prognosegüte ergab die App beispielsweise bei Bananen und bei Champignons. „Durch bessere IT-Unterstützung in den Filialen ist eine potentielle Umsatzsteigerung von zwei Prozent und eine Einsparung von Lebensmittelverlusten um fünf bis zehn Prozent möglich“, fasste Ahrens zusammen.

Zum Vortrag Prof. Dr. Ahrens pdf 1,9 MB

Zukunftsvisionen zum Energiesparen

Die Podiumsdiskussion wurde dazu genutzt, um Zukunftsvisionen zum Energiesparen aufzuzeigen. „Meine Vision ist ganz einfach: Wir sollten möglichst wenig Energie einsetzen und wenn, dann sollten es erneuerbare Energien sein“, so Dr. Gerd Leipold. Dem konnte Dipl.-Ing. Gerold Hafner von der Universität Stuttgart zustimmen und fügte hinzu, dass durch den Einsatz von Technik vor allem in den Entwicklungsländern noch viel Potential stecke, Energie zu sparen. „In den Entwicklungsländern verderben Lebensmittel ehe sie auf den Markt gelangen, z. B. bei der Ernte, bei der Lagerung oder Verarbeitung“, verdeutlichte er.
Auch Dipl.-Ing. Detlev Müller, Bereichsleiter Facility- und Energiemanagement der Firma tegut… gute Lebensmittel, sah die Notwendigkeit, den Einsatz von fossiler Energie zu reduzieren und brachte einen neuen Aspekt ein: Die Kompetenzen der Verbraucher sollten gestärkt werden. „Wir brauchen an Schulen das Fach Ernährung! Den heutigen Konsumenten fehlt das Wissen, wie man richtig einkauft“, betonte Müller. Zudem seien Convenience-Produkte ein großes Problem, erklärte Mag. Johann Daxbeck, geschäftsführender Obmann der Ressourcen Management Agentur, denn sie enthalten sehr viel Energie. Mehr frisch kochen – lautete daher sein Plädoyer.
Dipl.-Ing. Gunther Pesta forderte mehr Zahlen und Fakten von der Wissenschaft, um ein Bewusstsein für das Energiesparen zu schaffen. „Erst das Wissen um die Vorteile, also was bringt es, Lebensmittelabfälle zu vermeiden, führt zu einer Verhaltensänderung“, erläuterte Pesta.

Diskussionsforen

Ressourceneffizienz in der Gemeinschaftsverpflegung

Die Impulsgeber Dip.-Ing. Gerold Hafner und Dipl.-Ing. Dominik Leverenz stellten in einem kurzen Vortrag den RESOURCEMANAGER FOOD (RM-FOOD) vor, ein Messinstrument zur Abfallerfassung von Lebensmittelrückläufen in der Außer-Haus-Verpflegung. Der RM-FOOD ermöglicht es, Informationen, die helfen können Abfälle zu vermeiden, in Echtzeit abzurufen. Leverenz betonte: „In Hotels wird beispielsweise kein Buch über die Zusammensetzung der Speisereste geführt. Demnach wissen die Betroffenen oftmals gar nicht, wie groß die Verluste sind.“ Durch den RM-FOOD können Verluste wahrgenommen werden. Weitere wichtige Fragen in der Diskussion drehten sich um das Thema Buffet. So werden zur Mittagsverpflegung bei Veranstaltungen oder beim Frühstück in Hotels oft reichhaltige Buffets angeboten. „Es gibt meist ein Überangebot an Speisen, die dann entsorgt werden müssen. Wir sollten dies ändern und kommunizieren, warum nun weniger angeboten wird – Verstehen führt zum Verständnis“, bemerkte eine Teilnehmerin des Seminars.

Technologische Ansätze zur Haltbarkeitsverlängerung

Dr. Peter Muranyi stellte in seinem Impulsvortrag verschiedene technologische Ansätze zur Haltbarkeitsverlängerung vor und lieferte gleichzeitig viele Fragen zum Nachdenken. Wird der Verbraucher neue Herstellungsverfahren oder neue Verpackungen akzeptieren? Wie sieht es mit der Umweltfreundlichkeit oder Ressourceneffizienz der neuen Verfahren aus? Und was sagt die Gesetzgebung? Gibt es Verordnungen, die die neue Technologie nicht zulassen? Was sind die Kosten und was der Nutzen im Falle der Einführung?

Potenziale von Big Data zur Effizienzerhöhung in der Lebensmittelkette

Wie kann Digitalisierung entlang der Wertschöpfungskette genutzt werden, um Effizienz zu erreichen? Was kann durch Datennutzung verbessert werden? Prof. Dr. Diane Ahrens betonte, dass digitale Elemente in der Landwirtschaft, beim Verarbeiten oder auch im Lebensmittelhandel viel Potenzial bieten, um die Effizienz in der Lebensmittelkette zu erhöhen. So können beispielsweise durch die Verwendung von digitalen Etiketten im Handel, die Preise schnell angepasst werden, um Anreize zum Kauf zu schaffen. Ahrens fasste zusammen: „Wir brauchen zuerst aussagekräftige Daten, erst dann können wir daraus Aktionen ableiten!“

81,6 kg Food Art

Cover Food Art Book

Julia Hildebrand, Ingolf Hatz: 81,6kg – Food Art Book

Der Veranstaltungsraum wurde von den Fotokünstlern Julia Ruby Hildebrand und Ingolf Hatz mit Fotografien zum Thema Lebensmittelverschwendung gestaltet. Die Initialzündung für das Projekt „81,6 kg Food Art“ kam aus einer Studie der Universität Stuttgart aus dem Jahr 2012, laut der jeder Bürger in Deutschland durchschnittlich 81,6 Kilogramm Lebensmittel pro Jahr in den Müll wirft. Mit ihrem Projekt wollten die beiden Fotografen diese Zahl greifbar machen und veranschaulichen, wie viele Lebensmittel das sind.

Jedes Bild steht stellvertretend für ein Gericht. Die Künstler haben die fotografierten Lebensmittel gewogen und in Seidenstrümpfe verpackt. Entstanden sind 30 außergewöhnliche Aufnahmen, die in ihrer Summe 81,6 Kilo schwer sind. Um das Projekt für den Betrachter auch sinnlich erfahrbar zu machen, haben die beiden Fotografen ihre Kunstfotos in Rezepten interpretiert und alles in einem Kunstkochbuch zusammengefasst. Im ersten Teil des Buchs werden die Kunstbilder mit dem dazugehörigen Gewicht und dem jeweiligen Rezeptfoto verknüpft. Im zweiten Teil finden sich die von Chefkoch Mike Oehlke kreierten Rezepte zum Nachkochen.

Impressionen zum Wissenschaftsseminar