Seminar in Bayreuth, 13. November 2014
Rückblick Seminar: "Nahrungsmittelunverträglichkeiten – wenn Essen zur Herausforderung wird"

Bayreuth – Das Seminar „Nahrungsmittelunverträglichkeiten – wenn Essen zur Herausforderung wird“ klärte über Mythen und Fakten auf. WissenschaftlerInnen und VertreterInnen der Ernährungwirtschaft präsentierten die gesamte Bandbreite des Themenbereiches Nahrungsmittelunverträglichkeiten: Was steckt dahinter? Sind spezielle Lebensmittel notwendig? Handelt es sich tatsächlich um ein Volksleiden oder doch um einen Hype aus den USA, der langsam auch zu uns schwappt?

Prof. Dr. Stefan Leible

Prof. Dr. Stefan Leible, Präsident der Universität Bayreuth

Blickt man in die Regale der Supermärkte, so scheint es, als würden Nahrungsmittelunverträglichkeiten immer häufiger auftreten. Laktose- und glutenfreie Produkte füllen die Regale. Auch in den Medien ist das Thema präsenter als je zuvor. So berichten Zeitungen vom „bösen Gluten“ und das Buch „Weizenwampe“ eines US-amerikanischen Arztes stand monatelang auf der Bestsellerliste. Prominente Vertreter, wie Lady Gaga oder Miley Cyrus, unterstützen den Trend, da sich beide glutenfrei ernähren und dies auch in ihren Online-Foren verkünden. Doch stimmt der Eindruck, dass Nahrungsmittelunverträglichkeiten zu einem neuen Lebensstil gehören oder leiden tatsächlich immer mehr Menschen an Allergien und Intoleranzen?
Röger

Christine Röger, Bereichsleiterin Wissenschaft am KErn

Auf diese und weitere spannende Themen fanden die Besucher des Seminars „Nahrungsmittelunverträglichkeiten“ am 13. November 2014 an der Universität Bayreuth Antworten. Rund 100 Teilnehmer aller Disziplinen aus dem Lebensmittel- und Gesundheitsbereich sind dem Ruf des Kompetenzzentrums für Ernährung (KErn) gefolgt und erlebten einen interessanten Tag. Veranstalter des Seminars waren das KErn, das Max Rubner-Institut (MRI), die Universität Bayreuth sowie Bayern Innovativ.

Eröffnet wurde die Veranstaltung von Prof. Dr. Stefan Leible, Präsident der Universität Bayreuth, und Christine Röger, Bereichsleiterin Wissenschaft am KErn.

Nahrungsmittelunverträglichkeit – ein Volksleiden?

Dr. Christoph Thöringer

Dr. Christoph Thöringer

Dieser Frage ging der Internist Dr. Christoph Thöringer vom Klinikum rechts der Isar auf den Grund. Dabei verdeutlichte er den Unterschied zwischen einer Nahrungsmittelallergie und einer Nahrungsmittelintoleranz. Das Augenmerk seines Vortrags lag insbesondere auf den beiden Unverträglichkeiten Laktose- und Fruktoseintoleranz. Beide Intoleranzen werden über einen Atemtest nachgewiesen. Aber auch klinische Symptome wie etwa Verdauungsbeschwerden, Kopfschmerzen und Abgeschlagenheit können ein Hinweis auf die Intoleranz sein. Obwohl viele Personen meinen, an einer Nahrungsmittelunverträglichkeit zu leiden, gebe es keine dokumentierte Zunahme der Prävalenz, so Thöringer. Tatsächlich leiden 20–35 % der Erwachsenen an einer Nahrungsmittelintoleranz. Seinen Vortrag beendete er mit einem Ausblick auf die Erforschung neuer diagnostischer Methoden.
Dr. Reese

Dr. Imke Reese

Im Anschluss stellte Dr. Imke Reese, die freiberuflich als Ernährungsberaterin und -therapeutin mit dem Schwerpunkt Allergologie tätig ist, die Therapiemöglichkeiten bei Nahrungsmittelunverträglichkeiten dar. Sie referierte über „Ernährungstherapie bei Nahrungsmittelunverträglichkeiten – eine Herausforderung!“. Zu Beginn ihres Vortrags zeigte sie die Prävalenz der Nahrungsunverträglichkeiten auf. Nach einer Berliner Studie glauben 35 % der Berliner Bevölkerung, unter einer Nahrungsmittelallergie zu leiden. Jedoch lassen sich lediglich bei 3,6 % davon Unterverträglichkeitsreaktionen nachweisen. Die Basis der Therapie bei Nahrungsmittelunverträglichkeiten bildet das Ernährungs- und Symptomprotokoll. So kann festgestellt werden, welche Lebensmittel vertragen werden und es kann für jeden Einzelnen eine individuelle Lösung gefunden werden.


Dr. Thöringer, Dr. Reese, Dr. Rubach

Dr. Christoph Thöringer, Dr. Imke Reese und Dr. Malte Rubach

Diesen Themenblock moderierte der Organisator Dr. Malte Rubach, Projektleiter am Kompetenzzentrum für Ernährung (KErn). Abschließend fand eine Podiumsdiskussion mit den beiden Referenten statt, in der betont wurde, wie wichtig eine gute Zusammenarbeit von Ernährungsmedizinern und -therapeuten sei.

Gluten und Laktose im Blickpunkt

Prof. Clemens, Dr. Pfeuffer, Prof. Lindhauer

Prof. Dr. Stephan Clemens, Dr. Maria Pfeuffer und Prof. Dr. Meinolf G. Lindhauer

Im Themenkomplex „Spezielle Nahrungsmittelunverträglichkeiten im Fokus“, durch den Prof. Dr. Stephan Clemens von der Universität Bayreuth führte, wurde von den zwei Referenten genauer auf die derzeit am häufigsten diskutierten Nahrungsmittelunverträglichkeiten eingegangen.
Über das Thema „Glutensensitivität & Zöliakie“ sprach Prof. Dr. Meinolf G. Lindhauer vom MRI in Detmold. Er erläuterte die Ursachen dieser Unverträglichkeiten: Bestimmte Aminosäuresequenzen der Klebereiweiße (Glutene) in Weizenarten lösen eine Immunreaktion aus. Dabei unterscheidet man zwischen der Zöliakie (ca. 1 % der Bevölkerung) und der Glutensensitivität (ca. 2–3 % der Bevölkerung). Letztgenannte sei erst seit 2012 als Krankheitsbild anerkannt und noch weitgehend unerforscht. In Lindhauers Augen ist der Verzehr an Weizenprodukten in den letzten Jahren insgesamt deutlich angestiegen. Den interessierten Zuhörern berichtete er zudem, dass sich durch die Züchtung neuer Getreidesorten nicht die Menge an Gluten verändert habe, sondern die Zusammensetzung dieses Eiweißes. Als Buchtipp empfahl er "Celiac Disease and Gluten – Multidisciplinary Challenges and Opportunities" von Herbert Wieser / Peter Köhler / Katharina Konitzer; Academic Press, London, Waltham, San Diego, 2014; ISBN: 978-0-12-420220-7.
Dr. Maria Pfeuffer

Dr. Maria Pfeuffer

Dr. Maria Pfeuffer, ebenfalls vom MRI – jedoch aus Karlsruhe – schloss sich mit einem Vortrag über „Laktoseintoleranz – ein Pro & Contra für Milch“ an. Pfeuffer erklärte, dass generell ein primärer Laktase-Mangel bzw. eine Laktose-Malabsorbtion normal sei, sich dabei jedoch regionale Unterschiede zeigten. Es gebe mindestens fünf Mutationen, die alle zur Laktase-Persistenz führten und dadurch einen evolutionären Vorteil verschafften, indem laktosehaltige Speisen vertragen werden. Pfeuffer riet Personen mit Laktoseintoleranz, auf fermentierte Milchprodukte zurückzugreifen und durch eine ballaststoffreiche Ernährung eine gesunde Darmflora zu fördern. Sie beschrieb die vier Prinzipien einer Ernährungstherapie bei Laktoseintoleranz: extra Laktase aus nativem Joghurt zuzuführen, die Dickdarmmikrobiota möglichst positiv zu beeinflussen, durch Prä- und Probiotika, und eine möglichst verzögerte Darmentleerung sowie verlangsamte Magen-Darm-Passage anzustreben.

Die Lebensmittelhersteller bedienen die Nachfrage

Franz H. Leupoldt

Franz H. Leupoldt

Der Themenblock „Diätische Produkte in der Lebensmittelindustrie: Markt oder Muss“ wurde von Dr. Hanna Schösler von der Universität Bayreuth moderiert. Franz H. Leupoldt von der Firma PEMA sprach zu dem Thema „Sind Brote für besondere Ernährungsformen nötig und wenn ja möglich?“. Leupoldt stellte dabei die Anfänge der glutenfreien Produktion in seiner Firma dar, die durch eine persönliche Bekanntschaft eines zöliakiekranken Jungen, der sich nichts mehr wünschte, als wieder einmal ein Stück Brot mit Genuss essen zu dürfen, zustandekamen. Zudem erzählte er von Problemen bei der anfänglichen Herstellung und gab einen Einblick in den Produktionsprozess seiner glutenfreien Vollkornbrote. Darüber hinaus konnten die Teilnehmer von seinem Vollkorn-Reisbrot kosten. Außerdem berichtete Leupoldt von der erfolgreichen Einführung eines glutenfreien Lebkuchens.
Dr. Schösler, Dr. Kunte, Leupoldt

Dr. Hanna Schösler, Dr. Thomas Kunte und Franz H. Leupoldt

Anschließend referierte Dr. Thomas Kunte von der IREKS GmbH zum Thema „glutenfreie Back-Premixen“. Dabei ging er genauer auf die verschiedenen Möglichkeiten der Herstellung glutenfreier Backwaren und die technischen Herausforderungen ein. Er beschrieb den Einsatz unterschiedlicher Stoffe als Ersatz von Gluten und zeigte verschiedene Produkte aus dem IREKS-Sortiment. Immer häufiger fordern Konsumenten glutenfreie Backwaren und auch laktosefreie Produkte. Die Herstellung dieser Produkte stellt eine große Herausforderung an das Allergenmanagement dar, Kreuzkontaminationen sind bei der Herstellung zu vermeiden.
Nach den Vorträgen diskutierten die Teilnehmer mit den Referenten und untereinander rege, ob es sinnvoll sei, immer mehr Lebensmittel mit einer „ohne-Kennzeichnung“ in die Supermärkte zu bringen.

Die Patienten im Gesetzesdschungel

Dr. Schwarzmüller

Dr. Tobias Schwarzmüller

Dr. Tobias Schwarzmüller von Bayern Innovativ führte durch den Themenkomplex „Finanzielle Implikationen und Kennzeichnung“.
Schorling

Elisabeth Schorling

Elisabeth Schorling (M. Sc. in Public Health) von der Universität Bayreuth referierte über die „Gesundheitsökonomischen Aspekte von Nahrungsmittelunverträglichkeiten“ am Beispiel Zöliakie. Jährlich entstünden bis zu 2.300 € an Ausgaben, die ein Patient für eine Ernährungsumstellung zu tragen habe. Diese Ausgaben werden nicht von den Krankenkassen bezahlt, sodass dies eine enorme Belastung für die Betroffenen darstellt. Für das deutsche Gesundheitssystem fielen aufgrund durch Zöliakie bedingte Arbeitsausfälle etc. jährlich etwa 2.000–2.500 € Kosten pro Person an. Im Vergleich zu anderen Krankheiten liege die Zöliakie damit im mittleren Bereich. Weiterhin ging Frau Schorling auf die Lebensqualität der Betroffenen ein. Hierbei wurde insbesondere deutlich, dass durch eine undiagnostizierte Zöliakie Einbußen in der Lebensqualität entstehen. Ist die Diagnose Zöliakie hingegen gestellt, kann sich der Patient damit arrangieren, weshalb dann die Lebensqualität wieder zunehme.
Dr.Richter

Dr .Klaus Richter

Zum Thema „Lebensmittelallergene – Aspekte zur Deklarationspflicht“ sprach Dr. Klaus Richter vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) aus Berlin. Er beschrieb die aktuelle Rechtslage, wonach die Zutaten, die am häufigsten Allergien/Unverträglichkeiten auslösen, deklariert werden müssen. Nach der Lebensmittel-Informationsverordnung (LMIV) gilt dies ab dem 13.12.2014 nicht nur für verpackte, sondern auch für lose Ware in Restaurants, Bäckereien etc. Die Festlegung von Einzelheiten zur Durchführung dieser EU-Verordnung obliege den einzelnen Mitgliedsländern. Bisher liege in Deutschland als einzelstaatliche Maßnahme der Entwurf einer Lebensmittel-Informationsdurchführungsverordnung (LMIDV) vor, so Richter. Die Deklaration von Allergenen bei Lebensmitteln führe zu einem deutlichen Nutzen für betroffene Verbraucherinnen und Verbraucher. Jedoch seien einzelne Aspekte der Deklaration bei „loser Ware“ noch klärungsbedürftig.