Nachbericht
Ernährungsverhalten in Bayern und seine Folgekosten

Schale mit Obst und Gemüse. Daneben liegt ein Stetoskop und ein BLutzuckermessgerät

© Chinnapong - stock.adobe.com

Eine ungesunde Ernährung ist weltweit Risikofaktor Nummer eins. Jährlich sterben etwa 11 Millionen Menschen an ernährungsmitbedingten Erkrankungen, allen voran Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Diabetes– so das Ergebnis einer aktuellen Studie, die im Fachmagazin The Lancet erschienen ist (1). Ein Zuviel an Salz, Zucker, Alkohol, bestimmten Fetten und in erster Linie an Kalorien und zum Teil hochverarbeiteten Lebensmitteln sowie ein Zuwenig an gesunden Nahrungsmitteln wie Gemüse und Nüssen, beeinträchtigen aber nicht nur die Gesundheit jedes Einzelnen, sie verursachen auch Kosten für das Gesundheitssystem und belasten damit die Solidargemeinschaft.

Welche Mehrkosten ernährungsmitbedingte Krankheiten in Deutschland erzeugen, versuchen Wissenschaftler schon seit geraumer Zeit mit verschiedenen Methoden und Modellen zu schätzen. Speziell für Bayern gab es bisher dazu keine wissenschaftlichen Schätzungen, weshalb das Kompetenzzentrum für Ernährung (KErn) im Jahr 2016 das Kooperationsprojekt „Ernährungsverhalten in Bayern und seine Folgekosten“ startete.

Zielsetzung des Projekts
Das Projekt verfolgte mehrere Ziele: Die Experten bewerteten die Folgekosten ernährungsmitbedingter Erkrankungen, identifizierten Ernährungskontexte und -risiken und ermittelten in einem Praxistest langfristige Effekte. Das in drei Arbeitspakete aufgeteilte Projekt befasste sich zudem mit der Ermittlung der Kostenersparnis durch Präventionsmaßnahmen, der sozialen Einflussfaktoren auf die Ernährung, dem Einfluss der Ernährung auf den Body-Mass-Index und die sozioökonomischen Folgen von Adipositas. Im Praxistest „Smarter Lunchrooms“ erforschte das Team die langfristigen Effekte von Nudging-Maßnahmen in der Gemeinschaftsverpflegung. Mit Nudging-Maßnahmen sollen Gäste, ohne Zwang, zu einer gesünderen Essenswahl „angestupst“ beziehungsweise animiert werden.
Die Ergebnisse der einzelnen Arbeitspakete
Die Analyse von Krankenkassendaten zeigte, dass Personen mit Typ-2-Diabetes in Deutschland etwa doppelt so hohe direkte Versorgungskosten aufweisen wie Personen ohne Typ-2-Diabetes. Diese hohe Krankheitslast könnte sich durch wirksame Prävention, wie direkte Ernährungsinterventionen oder verbrauchsbezogene Steuern, verringern lassen. Eine Bevölkerungsstudie im Raum Augsburg zeigte konkret, dass gesunde Erwachsene, mit einer guten Ernährungsqualität auch mittelfristig, nach circa 7 Jahren geringere Versorgungskosten verursachten (Arbeitspaket 1).

Die Haupterkenntnisse aus der kürzlich veröffentlichten Studie von Dr. Sebastian Mader vom Institut für Soziologie der Universität Bern lassen sich wie folgt zusammenfassen (2): Mädchen und Frauen, Menschen mit hoher Bildung und jungen Alters ernähren sich im Vergleich gesünder als Jungen und Männer sowie Menschen mit niedrigem Bildungshintergrund. Eine gesunde Ernährung im Allgemeinen und der Verzehr von Nüssen im Speziellen senken den Body-Mass-Index. Der Verzehr von Limonade, Bier, Fleisch und Wurst hingegen erhöhten den BMI. Adipös zu werden verringere den sozio-ökonomischen Status. (Arbeitspaket 2).
Obstschalen mit Äpfeln und Bananen stehen vor dem Süßigkeitenständer

© Wolfgang Pulver

Interventionen an einer Hochschul- und einer Schulmensa im Raum München („Smarter Lunchrooms“) konnten zeigen, dass bereits relativ einfache Nudging-Maßnahmen in der Gemeinschaftsverpflegung auch noch über ein Jahr nach Einführung den Konsumanteil gesunder Lebensmittel substanziell erhöhen und den Anteil ungesunder Lebensmittel senken können. Die Studie ist damit die erste, die den Langzeiteffekt von Nudging in Gemeinschaftsverpflegungs-Betrieben untersuchte (Arbeitspaket 3).

Smarter Lunchrooms – fördern simple Maßnahmen ein günstiges Essverhalten?

Die Wirksamkeit von Nudging als ein Element im Baukasten ernährungspolitischer Maßnahmen zu bestätigen, ist auch das Ziel zweier weiterer KErn-Projekte, die sich aus dem Praxistest „Smarter Lunchrooms“ heraus entwickelt haben: „Smart Moving“ und „Nudge the Nudgers“. Das KErn veranstaltete auch ein Wissenschaftsseminar unter dem Motto „Nudging – per Stups gesünder?“.

Smart Moving – Start Moving

Ernährungsbildung und Informationskampagnen reichen allein nicht aus
Alles in Allem konnte das Projekt wertvolle Beiträge in ernährungspolitisch relevanten Bereichen leisten. Das erste Arbeitspaket verweist auf das beträchtliche Einsparpotenzial, welches mit der Vermeidung von Übergewicht, Adipositas und Typ-2-Diabetes einhergeht. Damit kann ernährungspolitischen Vorhaben eine fundiertere Argumentationsgrundlage geboten werden.

Arbeitspaket 2 gibt Hinweise darauf, dass eine auf die Reduktion von Übergewicht abzielende Ernährungspolitik wohlberaten ist, sich auf Jungen und Männer sowie Menschen mit geringer Bildung beziehungsweise niedrigem Bildungshintergrund zu fokussieren. Die Förderung des Verzehrs von Nüssen und die Begrenzung des Verzehrs von Limonade, Bier, Fleisch und Wurst sollte noch stärker kommuniziert werden. Um eine gesundheitliche Chancengleichheit quer durch die Bevölkerung zu erzielen, reichen traditionelle Instrumente – wie Ernährungsbildung und Informationskampagnen – allein nicht aus. Es empfehlen sich daneben konkrete Maßnahmen, die gesundes Ernährungsverhalten «anstupsen» können. Dazu zählen zum Beispiel die prominente Platzierung gesunder Lebensmittel in Kantinen oder Supermärkten. Auch die Einführung obligatorischer Verpflegungsstandards in der Gemeinschaftsverpflegung – angefangen von Kindertagesstätten bis zu Hochschulen und Firmenkantinen – könne sich laut der Studie von Dr. Sebastian Mader positiv auf die Ernährung des Einzelnen auswirken und das unabhängig von Bildungshintergrund und Einkommen.
Veröffentlichung der Ergebnisse
Aus diesen Ergebnissen sind verschiedene Publikationen hervorgegangen, darunter drei wissenschaftliche Arbeiten aus dem Arbeitspaket 1 (3,4) sowie je eine wissenschaftliche Publikation aus Arbeitspaket 2 (2) und Arbeitspaket 3 (5). Daneben veröffentlichte das KErn die beiden Broschüren „Nudging – leicht gemacht. Praktische Handlungsempfehlungen für die Schulmensa“ (5) und „Nudging – leicht gemacht. Praktische Handlungsempfehlungen für die Hochschulgastronomie“ (6).
Darüber hinaus verfassen Mitarbeiterinnen des KErn derzeit eine Infobroschüre, die die Ergebnisse des Forschungsprojektes im Kontext mit anderen Gesundheitsfolgekosten darstellt, um so auch einer breiteren Zielgruppe das Thema näherzubringen. Desweitern ist eine digitale Aufbereitung des Themas in Form eines Erklärvideos und weiteren Experteninterviews (Podcasts und Video) geplant.
Die Projektbeteiligten

Das KErn arbeitete bei dem Projekt mit nachstehenden Partnern zusammen:

  • Dr. Renée Stark, Katharina Kähm und Prof. Dr. Reiner Leidl vom Institut für Gesundheitsökonomie und Management im Gesundheitswesen des Helmholtz Zentrums München bearbeiteten das Arbeitspaket 1.
  • Dr. Sebastian Mader vom Institut für Soziologie der Universität Bern hat das Arbeitspaket 2 durchgeführt.
  • Prof. Dr. Gertrud Winkler von der Fakultät Life Sciences der Hochschule Albstadt-Sigmaringen leitete das Arbeitspaket 3. Dieses Teilprojekt finanzierte die Techniker Krankenkasse.