Kontrovers diskutiert
Ist eine Besteuerung zuckerhaltiger Getränke sinnvoll?
Die WHO fordert seit Längerem eine Besteuerung zuckerhaltiger Getränke. Im April 2018 ist auch Großbritannien dieser Empfehlung gefolgt, wie schon andere Länder zuvor. Jutta Saumweber von der Verbraucherzentrale Bayern und Günter Tissen von der Wirtschaftlichen Vereinigung Zucker geben Antworten auf Fragen hinsichtlich der Auswirkung einer Besteuerung zuckerhaltiger Getränke.
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Jutta Saumweber
Jutta Saumweber studierte an der Universität in München-Weihenstephan Ökotrophologie und leitet seit 2016 das Referat Lebensmittel und Ernährung der Verbraucherzentrale Bayern.
Die Verbraucherzentrale Bayern informiert, berät und unterstützt Verbraucherinnen und Verbraucher in Fragen des privaten Konsums.
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Günter Tissen
Günter Tissen ist Diplom-Agrarigenieur und Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftlichen Vereinigung Zucker e. V. (WVZ). Die WVZ ist die zentrale Organisation der deutschen Zuckerwirtschaft. Ihr gehören die Verbände der knapp 28.000 Rübenanbauer, die vier Zucker erzeugenden Unternehmen und Firmen des Zuckerhandels an.
Was wären potenzielle Vorteile oder Nachteile einer Zuckersteuer auf süße Getränke?
Jutta Saumweber:
Ein hoher Zuckerkonsum wird unabhängig von der Gesamtenergiezufuhr als Risikofaktor für verschiedene ernährungsabhängige Erkrankungen diskutiert. Ein starker Zusammenhang wird besonders zwischen dem Konsum zuckergesüßter Getränke und der Entwicklung von Übergewicht und Adipositas bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen gesehen1. Die Ernährungsempfehlungen nationaler (DGE) und internationaler Institutionen (WHO) legen außerdem einen niedrigen Verzehr ALLER Zuckerarten nahe. Die WHO empfiehlt in ihrer "Guideline: Sugars Intake for Adults and Children" (2015) die Begrenzung der Aufnahme freier Zucker auf 10 Prozent des täglichen Energiebedarfs, in Hinblick auf eine Kariesprophylaxe sogar auf 5 Prozent. Gleichfalls stimmen alle Empfehlungen darin überein, dass Getränke energiefrei sein sollen und energiearme Getränke toleriert werden. Wissenschaftlicher Konsens besteht dahingehend, dass ein hoher Zuckerkonsum ein Risikofaktor für ernährungsassoziierte Erkrankungen ist. Das gilt insbesondere für Softdrinks2.
Eine Zuckersteuer auf Softdrinks mit Zuckerzusatz hätte eine Lenkungswirkung für die Industrie, wenn sie als Industrieabgabe wie in Großbritannien gestaltet wäre. Sie gilt als starker Handlungsanreiz für Getränkeerzeuger für Zuckersenkungen. In Großbritannien haben die meisten Hersteller den Zuckerzusatz von Softdrinks reduziert. Es ist zu erwarten, dass es mit Einführung einer Steuer Rezepturveränderungen geben wird, z. B. durch technologische Veränderung von Zuckern wie Laktose oder vermehrten Einsatz anderer Süßungsmittel oder sogar Süßstoffen. In Großbritannien gibt es derzeit gegen den einfachen Austausch von Zucker durch Aspartam Protest in der Bevölkerung in Form von Unterschriftenaktionen. Hier wären die ernährungsphysiologischen Nachteile und die Akzeptanz von Verbrauchern durch „Ersetzen“ durch andere Süßungsmittel noch zu prüfen. Unklar bleibt auch, ob eine Zuckersteuer zu einer erwünschten verminderten Gesamtenergieaufnahme der Konsumenten führen wird.
Auch wäre es falsch, nur eine einzelne Zutat für das nötige Gesamtpaket aus Ernährung und Bewegung zu betrachten. Eine Steuer kann nur ein Instrument aus einem staatlichen Maßnahmenkatalog sein, um etwas gegen Zivilisationskrankheiten zu unternehmen.
Günter Tissen:
Über die Vorteile kann ich nichts sagen, weil mir keine Vorteile bekannt sind. Was in der Debatte oft untergeht: Niemand weiß, ob eine Strafsteuer tatsächlich hilft, Übergewicht zu verhindern. Auch in den Ländern, die eine solche Steuer bereits haben, weiß man das nicht, weil es entsprechende Untersuchungen gar nicht gibt.
Kommen wir zu den Nachteilen – was soll eigentlich erreicht werden? Wir wollen Zivilisationskrankheiten wie Diabetes II oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorbeugen. Und ein unbestreitbarer Risikofaktor für diese Krankheiten ist das Übergewicht. Eine Strafsteuer auf Zucker schürt die Illusion, allein der Zuckerverzehr mache uns dick und nur der Verzicht darauf mache uns schlank und gesund. Aber so einfach ist das nicht, denn es kommt auf das Gesamtpaket aus Ernährung und Bewegung an. Entscheidend für das Körpergewicht ist die persönliche Kalorienbilanz. Deshalb müssen wir über Kalorien reden und die Menschen für ihre persönliche Kalorienbilanz sensibilisieren.
Jutta Saumweber:
Wenn Hersteller sich weigern, den Zuckergehalt ihrer Getränke zu reduzieren, hätte der Staat durch eine Steuer Mehreinnahmen. Die Frage ist aber, ob die Steuereinnahmen wieder in das Gesundheitssystem eingespeist werden. Wenn die Unternehmen die Steuern nicht an Verbraucher durch Preiserhöhungen weitergeben, haben diese finanziell keinen Nachteil. Wenn Hersteller teurere Zutaten wie zum Beispiel Früchte in einem Fruchtjoghurt durch eine billigere Zutat – wie Zucker oder Zuckerarten – ersetzen, hatten Verbraucher hier bisher schon Nachteile. Sollten Hersteller durch Steuerzwang statt Billigzutaten wieder vermehrt höherwertige Zutaten einsetzen, könnten Verbraucher davon profitieren. Ob Verbraucher gesundheitlich von einer reinen Besteuerung auf Zucker in Softdrinks profitieren würden, ist fraglich.
Günter Tissen:
Am Ende zahlt der Verbraucher die Steuern. Und schlanker wird davon niemand.
Jutta Saumweber:
Wenn eine Zuckersteuer eingeführt werden sollte, dann muss diese in jedem Fall mit finanzieller Entlastung beim Kauf von „gesundheitsförderlichen“ Lebensmitteln wie Gemüse einhergehen. Verbraucherinnen und Verbraucher sollten nicht unnötig belastet werden und es könnten zusätzlich positive Effekte erzielt werden.
Die Mehrheit der Verbraucherinnen und Verbraucher akzeptiert nach einer Studie der Universität Göttingen eine aufkommensneutrale Steuer auf Lebensmittel mit sehr hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt, bei der die Mehreinnahmen für eine Reduktion des Preises gesunder Lebensmittel verwendet würden
3.
3: Spiller A, Jürkenbeck K, Zühlsdorf A: Lebensmittelmarkt und Ernährungspolitik 2018: Verbrauchereinstellungen zu zentralen lebensmittel- und ernährungspolitischen Themen
Günter Tissen:
Verbrauchssteuern, noch dazu auf einzelne Nährstoffe, sind generell kein geeignetes Mittel, um Übergewicht und Diabetes zu verhindern. Ich bleibe dabei, es geht um das Gesamtpaket aus Ernährung und Bewegung.
Manche Stimmen fordern bereits Steuern auf Smartphones, Sofas und Spielekonsolen – völlig absurd. Der Dreh, den die Diskussion dadurch annimmt, ist jedoch notwendig. Denn: Es geht um Ernährung UND Bewegung, das heißt, die individuelle Kalorienbilanz gehört in den Fokus. Daher brauchen wir keine neue Belastung für die Bürger. Sondern fordern, dass endlich vorhandene Steuermittel für Ernährungsbildung, Aufklärung und Bewegungsförderung in Kindergärten und Schulen eingesetzt werden.
Jutta Saumweber:
Derzeit gibt es von politischer Seite noch keine wirksamen Instrumente zur Bekämpfung von Übergewicht und seinen Folgeerkrankungen. Wir setzen uns für einen Maßnahmenmix ein, bei dem Steuern ein Instrument sein können. Denn Steuern alleine werden keine Kehrtwende in der Übergewichtsentwicklung bringen.
Genauso wichtig ist eine bessere Kennzeichnung von Lebensmitteln. Die derzeitige Nährwertkennzeichnung macht es Verbrauchern schwer, Lebensmittel in ihrem Gesundheitswert (Höhe des jeweiligen Zucker-, Salz- und Fettgehalts) einzuschätzen. Wir fordern eine EU-weit einheitliche, verständliche, farblich basierte Nährwertkennzeichnung auf der Basis von 100 Gramm oder 100 Millilitern auf der Vorderseite von Lebensmitteln, zum Beispiel in Form einer Nährwertampel.
Ein wichtiger Ansatz zur Förderung einer gesünderen Ernährungsweise ist die Veränderung von Rezepturen, die sogenannte Reformulierung von Lebensmitteln, die auf die Reduktion von Zucker, Fett und Salz in Lebensmitteln zielt und die Lebensmittelhersteller in die Pflicht nimmt. Der alleinige Fokus auf hohen Zuckerkonsum reicht für eine Gesamtstrategie für die Gesunderhaltung der deutschen Bevölkerung nicht aus. Wie die DEGS-Studie gezeigt hat, isst die Mehrheit der Deutschen (80 Prozent der Männer und 73 Prozent der Frauen) mehr als die empfohlenen 5 bis 6 Gramm Salz täglich. Hauptlieferanten für Salz sind verarbeitete Lebensmittel, ca. 80 Prozent der täglichen Salzmenge stecken in Brot, Wurst, Käse, aber auch in Fertiggerichten, Soßen und Snacks4. Eine Reduzierung alleine von Salz um drei Gramm am Tag würde nach WHO-Angaben zu über 50.000 weniger Herzinfarkten und Schlaganfällen führen5. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft arbeitet in Deutschland gerade an einer nationalen Reduktionsstrategie für Zucker, Fette und Salz.
Ein weiteres notwendiges Mittel wäre das Verbot von Marketing an Kinder bei Produkten, die nicht dem Nährwertprofilmodell der WHO entsprechen. Meist werden Lebensmittel gezielt an Kinder vermarktet, die einen hohen Gehalt an Zucker, Salz oder Fett haben und als ernährungsphysiologisch unausgewogen gelten. Unterstützt werden die Marketingaktivitäten in der Regel mit unternehmenseigenen Markenmaskottchen oder mit lizensierten Mediencharakteren, die speziell für die besonders schutzbedürftige Verbrauchergruppe der Kinder ansprechend wirken. Im Jahr 2007 haben sich die weltweit führenden Lebensmittelunternehmen im „EU Pledge“ freiwillig dazu verpflichtet, ihr Marketing verantwortungsvoller zu gestalten6. Die freiwillige Selbstverpflichtung verhindert nicht, dass ungesunde Lebensmittel an Kinder vermarktet werden. Im Gegenteil, die Hersteller suchen sich via Social Media (Facebook, YouTube) neue Marketingkanäle für Kinder. Verpackungsgestaltung und Werbung am Verkaufsort sind aus der Selbstverpflichtung sowieso ausgenommen. Effektive Marketing-Verbote müssten ausnahmslos alle Kanäle betreffen.
Günter Tissen:
Wir sollten endlich aufhören, über einzelne Zutaten zu streiten. Übergewicht ist ein zentraler Risikofaktor, der Diabetes Typ 2, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und andere Zivilisationskrankheiten begünstigen kann. Und beim Übergewicht zählt nur die Kalorienbilanz, das heißt die Energie, die ich aufnehme, und die, die ich verbrauche. Deshalb müssen wir das Bewusstsein der Menschen für das persönliche Maß an Ernährung und Bewegung schärfen. Das funktioniert nur über Bildung. Und wir müssen Bewegung wieder selbstverständlich machen – in Schule, im Beruf und im Alltag.