Faktenübersicht
Hafer in der glutenfreien Ernährung

Short-Facts:

  • Gluten ist ein Sammelbegriff für Speicherproteine in einigen Getreidearten.
  • Die Gluten-Proteine des Weizens lösen die stärksten Immunreaktionen auf Gluten aus.
  • In Hafer sind weniger immunreaktive Gluten-Proteine (Avenin) enthalten, weshalb Hafer von den meisten Personen mit Glutenunverträglichkeiten gut vertragen wird.
  • Trotz Hinweisen für die Verträglichkeit von Hafer in der glutenfreien Ernährung kann keine allgemeine Empfehlung zum Verzehr bei Glutenunverträglichkeiten gegeben werden: Im Einzelfall können ähnliche Beschwerden auftreten, die es weiter zu erforschen gilt.
  • Zertifizierter, „glutenfrei“ deklarierter Hafer ist wie folgt einzuordnen: Es wird garantiert, dass der Hafer auf dem Feld, beim Transport und der Verarbeitung keiner Kreuzkontamination mit glutenhaltigen Getreidesorten ausgesetzt wird und max. 20 mg/kg Gluten enthält.
  • Für Personen, die Gluten gut vertragen, sind glutenfreie Produkte überflüssig und teuer.

Hintergrund

Glutenfrei für alle?

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© StMELF

Im Rahmen einer „gesunden“ Ernährung ist der Verzicht auf Gluten und Weizen für eine nennenswerte Anzahl von Konsumentinnen und Konsumenten gleichbedeutend. In Deutschland ernähren sich 5 % der Bevölkerung glutenfrei, nur knapp 1 % der Deutschen leiden an diagnostizierter Zöliakie. Die Gründe für den Verzicht sind vielseitig: Viele Betroffene haben das Gefühl, glutenhaltige Lebensmittel weniger gut zu vertragen, manche versprechen sich Vorteile für eine Gewichtsreduktion. So stieg der Absatz glutenfreier Produkte im Jahr 2019 im Vergleich zu 2017um 11 Prozent auf einen Wert von 108 Millionen Euro. Dabei kann von einer glutenfreien Ernährung nicht pauschal auf eine gesundheitsförderliche Ernährungsweise geschlossen werden. Im Gegenteil: Viele Produkte enthalten häufig mehr Fett, Zucker und Salz. Außerdem werden weniger Ballaststoffe, B-Vitamine, Zink und Eisen aufgenommen. Das kann Auswirkungen auf die Risikoentwicklung für Herzkreislauf- und Zuckerkrankheiten haben.

Laut der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI) entspricht ein grundsätzlicher Gluten-Verzicht daher nicht den aktuellen wissenschaftlichen Kenntnissen. Auch die Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE) betont, dass trotz des wachsenden Angebots im Lebensmitteleinzelhandel, glutenfreie Produkte nicht grundsätzlich gesundheitsfördernd, jedoch oft deutlich teurer sein können.
 

Aber was ist Gluten eigentlich?

Gluten – oder auch Klebereiweiß genannt – ist ein wichtiges Speicherprotein. Unter dem Oberbegriff Gluten befinden sich sowohl die Proteine Prolamin als auch Glutelin als Bestandteile. Konsumentengruppen, die über eine Gluten-Unverträglichkeit klagen, reagieren auf die Prolamin-Bestandteile, welche in vielen Getreidesorten wie etwa Weizen, Gerste, Roggen und Hafer vorkommen (Harter 2019):

ProlaminbestandteilGetreideart
GliadinWeizen
SecalinRoggen
HordeinGerste
AveninHafer

Gluten selbst hat einen geringen Nährwert, ist aber ein leistungsstarker Emulgator und Trägerstoff für Aromen. Da Gluten geliert, Wasser bindet und Produkte stabilisiert wird es in der Lebensmitteltechnologie vielseitig eingesetzt, vor allem in stark verarbeiteten Lebensmitteln.

Food-Fact: Der beliebte Fleischersatz Seitan besteht praktisch nur aus Gluten.

Was macht Gluten im Körper?

Bei gesunden Menschen wird Gluten auf selbe Art und Weise wie andere Nahrungsproteine verdaut. Liegt eine Glutenunverträglichkeit (Zöliakie) vor, kommt es stattdessen zu einer Autoimmunreaktion, durch die sich die Darmzotten zurückbilden. In der Folge verringert sich die Oberfläche und Beschaffenheit des Dünndarms und der Körper kann nur eingeschränkt Nährstoffe aufnehmen. Da selbst Spuren von Gluten Beschwerden auslösen können, ist die einzige Therapie der lebenslange Verzicht auf glutenhaltige Lebensmittel.

Anders verhält es sich bei einer Nicht-Zöliakie-Gluten-Sensitivität: Betroffene klagen zwar über körperliche Beschwerden – Bauchschmerzen, Verdauungsprobleme, Kopfschmerzen und Müdigkeit – allerdings findet keine Schädigung der Darmschleimhaut statt. Hier kann eine glutenreduzierte Ernährung sinnvoll sein, um das Wohlbefinden der Betroffenen wiederherzustellen. Aktuell wird jedoch diskutiert, ob die Verbesserung tatsächlich auf den Glutengehalt zurückzuführen ist, oder ob vielmehr sogenannte FODMAPS das Wohlbefinden mitbestimmen.

In beiden Fällen handelt es sich nicht um eine Allergie: Bei einer Weizenallergie kommt es zur Ausschüttung eiweißspezifischer Antikörper, die im Blut nachgewiesen werden können. Trotz ähnlicher Symptomatik ist das bei einer Glutenunverträglichkeiten nicht der Fall.

Wie viele Menschen vertragen kein Gluten?

Es besteht eine Diskrepanz zwischen der wahrgenommenen und der tatsächlich vorliegenden Anzahl an Betroffenen, die nachweislich an einer Glutenunverträglichkeit leiden. Dabei existieren eindeutige Diagnosekriterien, um eine Glutenunverträglichkeit medizinisch nachzuweisen. Insgesamt wird die Häufigkeit weizenabhängiger Erkrankungen in Deutschland von Expertinnen und Experten auf bis zu 7 % geschätzt. Dabei kann nur in den wenigsten Fällen das Gluten als verursachender Inhaltsstoff bestimmt werden. In Deutschland liegt die Prävalenz der Zöliakie bei 0,3 bis 0,7 %. Die Angaben zur Prävalenz der Weizenallergie schwanken zwischen 0,6 und 3 % – weltweit wird die Häufigkeit unter 1 % geschätzt. Aussagen zur Häufigkeit der Nicht-Zöliakie-Gluten-Sensitivität können aufgrund fehlender valider Diagnoseverfahren und der häufigen Selbstdiagnose von Patientinnen und Patienten nicht getroffen werden.


Aktueller Sachstand

Hafer in der glutenfreien Ernährung

Je nach Definition gilt Hafer als glutenfrei oder glutenhaltig. Das hängt von den nationalen Bestimmungen ab. Der Codex Alimentarius (118-1979) definiert als glutenfreies Nahrungsmittel jene, die kein Weizen, Gerste, Rogen oder Hafer enthalten und deren Glutengehalt im verzehrfertigen Lebensmittel unter 20 mg/kg liegt. An dieser Stelle kommt dem Hafer eine Sonderstellung zu, da die Gluten-Proteine im Hafer (Avenine) von den meisten glutenempfindlichen Personen vertragen werden. Das bedeutet, dass der immunreaktive Glutengehalt in handelsüblichen Hafer und Haferprodukten häufig durch eine Kreuzkontamination mit glutenhaltigen Getreidesorten wie Weizen entsteht. Die EU-Verordnung 828/2014 schreibt folgend fest, dass „Hafer in einem Lebensmittel, das mit dem Hinweis „glutenfrei“ versehen ist, so hergestellt, zubereitet und/oder verarbeitet [ist], dass eine Kontamination durch Weizen, Gerste, Roggen oder Kreuzungen dieser Getreidearten ausgeschlossen werden kann.“ Auf diese Weise kann das Risiko eine Immunreaktion aufgrund von Gluten nahezu vollständig ausgeschlossen werden. Mit dem Symbol einer durchgestrichenen Ähre werden Produkte als „glutenfrei“ gekennzeichnet. Natürlich glutenfreie Getreidesorten sind Mais, Reis, Hirse sowie Buchweizen, Quinoa und Amaranth.

Hafer ist glutenfrei – oder doch nicht?

Hafer wird aufgrund des Prolamin-Gehalts zu den glutenhaltigen Getreiden gezählt. Allerdings muss das Avenin im Hafer als Sonderfall betrachtet werden, da es nur bei 95 % der Patientinnen und Patienten keine Reaktion auslöst. Die bisher angenommenen strukturellen Unterschiede der Prolamin-Fraktion konnten in einer schwedischen Studie (2022) bestätigt werden: Das Hafergenom wurde vollständig entschlüsselt und die Haferspeicherproteine gezielt hinsichtlich ihrer Wirkung auf die menschliche Gesundheit untersucht. Die Studie unterstützt somit den möglichen Nutzen von Hafer in der glutenfreien Ernährung.

Vor- und Nachteile von Hafer in der glutenfreien Ernährung

Eine amerikanische Studie (2021) untersuchte die Makro- und Mikronährstoffversorgung bei erwachsenen Zöliakie-Betroffenen nach einer glutenfreien Diät. Die Ernährungsmuster zeichneten sich durch eine geringe komplexe Kohlenhydrat- und Ballaststoffzufuhr sowie einer hohen Fett- und Zuckeraufnahme aus. Ursächlich seien glutenfreie Produkte und dessen Nährstoffzusammensetzung in Kombination mit einer insgesamt unausgewogenen Ernährungsweise. Außerdem konnten Mängel in der Mikronährstoffversorgung festgestellt werden: In der Regel fehlt es an Eisen, Calcium und Magnesium sowie Vitamin D, E und einigen B-Vitaminen. Solche Mangelerscheinungen könnten das zukünftige Risiko von Krankheiten wie Diabetes, Osteoporose und Anämie erhöhen – Krankheiten, die bei Zöliakie-Betroffenen bereits häufiger vorkommen. Für Personen mit Zöliakie ist eine glutenfreie Ernährung derzeit die einzig wirksame Therapieoption, um eine Regeneration des Darmschleimhaut und des intestinalen Ökosystems ermöglichen zu können. Um das Risiko einer Mangelversorgung zu senken, könnte (glutenfreier) Hafer als Alternative eine wichtige Rolle in der täglichen Ernährung spielen:

Vergleich der Makro- und Mikronährstoffe von Hafer und Weizen in mg/100 g

Hafer enthält durchschnittlich 60 % langkettige Kohlenhydrate (bei 0,7 % Zucker), 14 % Protein, 7 % Fett (wovon 75 % aus ungesättigten Fettsäuren stammt), 10 % Ballaststoffe (darunter 4,5 % Beta-Glucan) sowie verschiedene Vitamine und Mineralstoffe. Auch wenn Hafer an sich glutenfrei ist, bleibt die Möglichkeit einer Kontamination mit glutenhaltigen Getreidesorten bei der normalen Ernte und Verarbeitung aber bestehen. Daher gilt: Zöliakie-Betroffene sollten Hafer verwenden, der aufgrund der Herstellungsprozesse als glutenfrei gekennzeichnet ist.


Wissenschaftliche Einordnung


Die Integration von Hafer in der Ernährung vereinfacht eine glutenfreie Ernährung und kann Betroffene entlasten. Außerdem könnte auf diese Weise nicht nur der Speiseplan erweitert werden, sondern auch bedarfskritische Nährstoffe einer glutenfreien Ernährung gedeckt werden. Für gesunde Menschen hat eine glutenhaltige Ernährung viele Vorteile: Getreideerzeugnisse, vor allem Vollkornprodukte, sind reich an Ballaststoffen, Mineralien (Eisen, Magnesium, Zink), Vitaminen (Vitamin B1, B6, E), und auch sekundären Pflanzenstoffen (Polyphenole, Phytosterole), die sich positiv auf das Mikrobiom auswirken. Dementsprechend sind die Vorteile einer glutenhaltigen Ernährung auch die Nachteile einer glutenfreien Ernährung, sowohl bei Zöliakie-Betroffenen als auch bei gesunden Menschen.

Für Zöliakie-Betroffene ist eine glutenfreie Ernährung derzeit jedoch die einzig wirksame Therapieoption. In jedem Fall sollte nur nach einer medizinischen Beratung und Diagnose eine gezielte Ernährungsumstellung in Richtung glutenfrei angestrebt werden. Insgesamt gilt es Zöliakie-Betroffene für eine ausgewogene Ernährungsweise zu sensibilisieren und über die Vorteile von (glutenfreien) Haferprodukten aufzuklären. Aktuell kann der Verzehr von Hafer oder Haferprodukten bei bestehender Glutenunverträglichkeit jedoch nur unter dem Vorbehalt der individuellen Verträglichkeit empfohlen werden. Weitere Forschung ist notwendig, um Veränderungen der Antikörper im Verlauf einer kontrollieren Exposition mit Hafer feststellen zu können und sicherzustellen, dass eine immunologische Reaktion ausbleibt.


Literaturverweise

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  • Statista (2019): Umsatz mit glutenfreien Produkten in Deutschland nach Warengruppen in den Jahren 2017 und 2019. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1200926/umfrage/umsatz-mit-glutenfreien-produkten-in-deutschland-nach-warengruppen/
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  • Zentrum der Gesundheit: Weizen - Die Nährwerte. https://www.zentrum-der-gesundheit.de/pdf/tabelle_weizen.pdf.