Von der Himbeere zum Bioplastik

Himbeeren liegen in zur Schale geformte Handlächen

© Hartzkom

Plastik gilt als eine der größten Umweltherausforderungen unserer Zeit. Kaum ein Konsumgut, das ohne Kunststoffverpackung auskommt. Rund 18,2 Mio. Tonnen Verpackungsmüll oder 220 kg pro Kopf verbrauchte Deutschland laut Umweltbundesamt im Jahr 2016. Das Material ist beliebt, da sehr vielfältig einzusetzen, lange haltbar und günstig in der Produktion. Doch Kunststoff wird mehrheitlich aus fossilen Quellen gewonnen. Um den ökologischen Fußabdruck von Kunststoffen zu verbessern und die Abhängigkeit von endlichen Ressourcen zu verringern, werden mittlerweile auch nachwachsende Rohstoffe zur Herstellung von Kunststoffen genutzt, sogenanntes Bioplastik. Jedoch gibt es auch hier Unterschiede: So ist nicht jeder Biokunststoff aus nachhaltigen Quellen und nicht automatisch auch biologisch abbaubar.

Biokunststoff ist nicht gleich Biokunststoff

Üblicherweise besteht heute genutztes Bioplastik, zum Beispiel für abbaubare Plastiktüten, aus Biomasse, die aus Mais, Zuckerrohr oder Holz gewonnen wird. Manche dieser Rohstoffe stehen allerdings in Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion. Auch die Eigenschaften der Biokunststoffe sind oft noch nicht vergleichbar mit denen der herkömmlich hergestellten Kunststoffe, etwa im Hinblick auf Reißfestigkeit oder Barriereeigenschaften. Hier kommt die Forschungsarbeit der Fraunhofer-Einrichtung für Wertstoffkreisläufe und Ressourcenstrategie IWKS in Alzenau und Hanau ins Spiel. Die Wissenschaftler forschen an der Optimierung von biobasierten und biologisch abbaubaren Kunststoffen durch funktionale Beschichtungen. Ziel ist es, Biokunststoff im Hinblick auf Nachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit und Funktionalität zu verbessern.

Trester – zu schade für die Tonne

Zur Herstellung der Beschichtungen nutzen die Wissenschaftler Faserrückstände aus der Lebensmittelproduktion. Der Vorteil: Es werden nicht nur nachhaltig gewonnene Materialien zur Herstellung verwendet, das Endprodukt ist zudem auch biologisch abbaubar und steht nicht in Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion.

Konkret untersuchen die Forscher die Gewinnung von Hemicellulose aus Fruchtrückständen zur Herstellung von Additiven. Dabei werden Abfallstoffe wie Himbeer- oder Apfeltrester verwendet, die bisher unter anderem für Tiernahrung verwendet oder direkt einer Kompostierung zugeführt werden. Im Fall der hier verwendeten Trester handelt es sich um Nebenprodukte der Saft- und Pektinherstellung. Als natürlicher Bestandteil in pflanzlichen Abfällen bietet Hemicellulose nicht nur den Vorteil, dass sie aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnen werden kann. Sie ist zudem auch vielseitig modifizierbar, stabil und sehr verzweigt, wodurch sie viele Anknüpfungspunkte für andere Stoffe bietet. Dies spielt vor allem für die Verbesserung der Haftungseigenschaften von Beschichtungen eine wichtige Rolle.

Extraktion im Pilotmaßstab

Extraktionsanlage des Fraunhofer Instituts IWKS

© Fraunhofer-IWKS

Das Fraunhofer IWKS arbeitet zur Gewinnung der Hemicellulose mit einer Extraktions-Pilotanlage. Die Anlage vereinfacht die Extraktion und macht sie effizienter, da sie weitestgehend automatisiert ist und verschiedene, aufeinander abgestimmte Module umfasst. Zudem bietet die Anlage aufgrund ihrer Größe im Technikumsmaßstab eine optimale Grundlage zur Aufskalierung für industrielle Anwendungen. Die gewonnene Hemicellulose wird je nach Anforderungen der geplanten Verwendung modifiziert, beispielsweise im Hinblick auf ihre Löslichkeit in verschiedenen Medien. Nach erfolgreicher Extraktion und Modifikation konnten die Forscher die gewonnene Hemicellulose bereits erfolgreich in verschiedenen Lacksystemen einsetzen. Ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zum industriellen Einsatz.

Großes Potenzial für vielfältige Anwendungen

Die Nutzung von Hemicellulose als Additiv bietet vielfache Anwendungen. So klassen sich nicht nur Lacke wasserlöslich und gleichzeitig biologisch abbaubar machen, sondern auch biologisch abbaubare Kunststoffe in ihrer Steifigkeit und Stabilität (Reißfestigkeit) optimieren. Auch im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit bietet dieses Verfahren für die Industrie einen entscheidenden Vorteil: Fruchtrückstände sind eigentlich ein Abfallstoff und daher sehr kosteneffizient. Darüber hinaus ist der Trester auch in ausreichender Menge verfügbar – ein wichtiges Kriterium für die Aufskalierung. So könnten alle bioabbaubaren Kunststofffolien weltweit allein durch die Extrakte aus Reststoffen der deutschen Lebensmittel- und Biotech-Industrie beschichtet werden (basierend auf einer Produktionskapazität von 2,05 Mio. t pro Jahr, Stand 2017).

Gemeinsam mit Industriepartnern forscht das Fraunhofer IWKS an weiteren Einsatzmöglichkeiten und der Optimierung von Prozessen für den Einsatz von Funktionsstoffen aus biologischen Abfallstoffen. Die Möglichkeiten sind hier bei weitem noch nicht ausgeschöpft und der Bedarf an weiterer, anwendungsorientierter Forschung ist enorm. Hier kann die Digitale Rohstoffbörse einen wichtigen Beitrag leisten, um aus vielen anderen Rest- und Abfallstoffen neue Produkte zu gewinnen, die Ressourcen und Umwelt schonen.

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