Wissenschaftsseminar am 29. Juni 2016 in München
Rückblick 7. Wissenschaftsseminar: Gewichtsmanagement – eine runde Sache

Seminar am 29. Juni 2016 "Gewichtsmanagement - eine runde Sache"

Welche Maßnahmen zur Prävention von Übergewicht und Adipositas sind sinnvoll? Welche Diät oder Ernährungsweise könnte zum Wunschgewicht führen? Oder ist die Geschichte von der Diät ohnehin nur eine Mär? Diese Fragen diskutierten ReferentInnen und Teilnehmende am 29. Juni 2016 beim Wissenschaftsseminar des KErn. Der enable-Cluster, das Kompetenznetz Adipositas und das Deutsche Herzzentrum München unterstützten diese Veranstaltung als Kooperationspartner.

Expertinnen und Experten aus Ernährungswissenschaft, -wirtschaft, -medizin, Politik und Medien erörterten und diskutierten in fünf Themenblöcken die Handlungsmöglichkeiten der Verhaltens- und Verhältnisprävention des Übergewichts und der Adipositas:

Werden die Deutschen immer älter und auch dicker?

Gewichtige Erkenntnisse: Forschungsansätze und finanzielle Auswirkungen des Übergewichts

Das ist die beste Diät! Nichts als Versprechungen?

Verschiedene Perspektiven: Konzepte für eine schlanke Linie

Gewichtsmanagement – zum Wohle des Verbrauchers?

Werden die Deutschen immer älter und auch dicker?

Nach der Begrüßung durch Christine Röger, Bereichsleiterin Wissenschaft am KErn, Dr. Wolfram Schaecke, damaliger Leiter des KErn, und Prof. Dr. med. Heribert Schunkert, Deutsches Herzzentrum München, präsentierte Dr. Anja Schienkiewitz Daten und Fakten zu Übergewicht und Adipositas in Deutschland. So beschrieb Schienkiewitz die demografische Alterung: Das Durchschnittsalter der Bevölkerung stieg zwischen 1970 und 2014 von 36 auf 44 Jahre. Zudem wächst auch der Anteil der Bevölkerung, die 60 Jahre und älter sind: Im Jahr 2030 wird dieser voraussichtlich 35 Prozent betragen. Im höheren Alter treten vermehrt chronische Erkrankungen auf, deren Entstehung durch Übergewicht und Adipositas begünstigt wird. Schienkiewitz betonte auch, dass die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas insbesondere bei Kindern und Jugendlichen ein hohes Niveau erreicht habe. Diese Bevölkerungsgruppe weist auch im Erwachsenenalter ein erhöhtes Risiko auf, adipös zu sein. Schienkiewitz resümierte, dass diese Entwicklungen zu beeinflussen eine ernstzunehmende Herausforderung darstelle.

Schlank ein Leben lang? Gewichtsmanagement im Verlauf des Lebens

Im nächsten Themenblock erörterte Prof. Dr. Hans Hauner, Technische Universität München, die Ursachen von Übergewicht sowie Adipositas und zeigte Möglichkeiten der Prävention sowie Intervention auf. So spielen bei der Entstehung der Adipositas intrinsische, aber auch extrinsische Faktoren, wie beispielsweise die Umwelt, eine Rolle. Der Außer-Haus-Verzehr wächst. Beliebte und gern verzehrte Produkte wie Burger oder Pizza sind meist fett- und energiereich sowie ballaststoffarm. Welche Maßnahmen zur Bekämpfung der Adipositas sind sinnvoll? Können einfache Strategien erfolgreich sein? Hauner sieht ein riesiges Potenzial in der Entwicklung von gesünderen Fast-Food-Produkten und stellte ein Forschungsteilprojekt des [i]enable[/i-Clusters vor: Die Entwicklung einer ballaststoffangereicherten Pizza mit einem um 25 Prozent verringertem Energiegehalt.

Das dicke Problem – wie viel kostet uns die Adipositas

Lohnt sich Prävention aus ökonomischer Sicht? Diese Frage beantwortete Prof. Dr. Rolf Holle vom Helmholtz Zentrum München und betrachtete zudem die Adipositas aus der Sicht der Gesundheitsökonomie. So entstehen aufgrund der Adipositas beachtliche Kosten für das Gesundheitssystem. Holle stellte die Ergebnisse aus zwei aktuellen Studien vor: Lehnert et al. (2015) beziffern die jährlichen direkten Kosten (= medizinische Versorgungskosten) für Übergewicht und Adipositas auf 9 Milliarden Euro. Laut Effertz (2015) betragen die jährlichen direkten Kosten allein für Adipositas 29 Milliarden Euro.

In beiden Studien kommen jeweils indirekte Kosten aufgrund von Produktivitätsverlusten in der gleichen Größenordnung hinzu. Holle erläuterte, aus welchen methodischen Gründen Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen und stellte anschließend die Frage, ob sich Prävention aus ökonomischer Sicht lohnt: Auch wenn ein wissenschaftlicher Nachweis schwierig sei, da die Programmkosten zu Beginn anfallen, die Gesundheitseffekte und Einsparungen sich aber erst deutlich später bemerkbar machen, gebe es Hinweise aus Modellrechnungen, die zeigen, dass Maßnahmen der Verhältnisprävention am ehesten kosteneffektiv seien.

Mit der Traumfigur zum höheren Selbst – Diäten in den Medien

Im nächsten Block widmete sich Johanna Bayer, freie Wissenschaftsjournalistin, dem Thema Diäten in den Medien. Bayer beleuchtete, wie verschiedene Redaktionen das Thema behandeln. So gibt es wiederkehrende Muster. Jedes Jahr im Januar nach Weihnachten taucht das „Diät-Ritual“ in verschiedenen Magazinen wie Fitness und Sport, Buntes und Boulevard, Frauenzeitschriften und im Internet auf. Meist wird eine persönliche Geschichte, der spektakuläre Einzelfall, als Erfolgsstory präsentiert. Das erkennbare Ziel ist es, den Lesern Hoffnung zu machen und eine positive Perspektive auf das Abnehmen vermitteln zu können. Die Versprechungen „einfach schlank“ oder „leicht schlank“ können jedoch nicht eingelöst werden, was vielen Redakteuren durchaus bewusst ist. Auch in Qualitätsmedien erlauben sich dabei verschiedene Ressorts eines Hauses auch Pluralität in Konzepten und Positionen, wie Bayer an einem Beispiel zu Müsli zeigte: In der Printausgabe und in der Online-Version standen völlig andere Aussagen zu Müsli, zwischen „Der Fitmacher am Morgen“ bis „Die Müsli-Falle“. Neben regelmäßigen Diät-Empfehlungen finden sich Diäten-Checks und Kritik an Diäten bei verschiedenen Redaktionen und Online-Angeboten. Auch eine Gegenbewegung zum Diätthema im Sinne von „Esst endlich normal!“ lässt sich identifizieren.

Nichts hält für die Ewigkeit – die Mär von der Diät

Prof. Dr. Johannes Erdmann, Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, erklärte, warum eine Diät scheitern müsse und präsentierte das Konzept der energiedichtezentrierten Ernährungsumstellung, das zu einem nachhaltigen Gewichtsmanagement beitragen kann. Da das Ernährungsverhalten über viele Jahre geprägt wurde, ist eine völlige Änderung nicht realistisch, der Fehlschlag der Diät ist vorprogrammiert. Laut Erdmann sei das Konzept der energiedichtezentrierten Ernährungsumstellung einfach umsetzbar, denn es berücksichtigt die individuellen Ernährungsgewohnheiten. Das Grundprinzip: Lebensmittel mit hoher Energiedichte werden gegen Lebensmittel mit niedriger Energiedichte ausgetauscht. Das Konzept greife eher modulierend ein und ziele auf eine langfristige Umstellung des Essverhaltens ab, betonte Erdmann.

App-nehmen und schlank per Mausklick

Dr. Christina Holzapfel, Technische Universität München, zeigte im nächsten Themenblock die Datenlage und Wirksamkeit von webbasierten Interventionen und Apps auf. Die Datenlage zeigt: Die Digitalisierung ist auch im Gesundheitssektor angekommen. 30 Prozent der Nutzer haben bereits Gesundheitsapps auf dem Smartphone installiert. Am häufigsten genutzt werden Apps mit Rezepten zur gesunden Ernährung. Es gibt derzeit keine Hinweise darauf, dass Apps zur Gewichtsreduktion wirksam sind. Jedoch konnte gezeigt werden, dass telefon- und internetbasierte Lebensstilinterventionen eine gute Alternative zum persönlichen Beratungsgespräch darstellen. Das Fazit: Große, multizentrische Studien sind nötig, um den Nutzen von Gesundheitsapps für das Gewichtsmanagement zu untersuchen.

Schlank durch Essen? Neue Produkte zum Abnehmen

Christian Zacherl vom Fraunhofer IVV erklärte die aktuellen Entwicklungen des Projektes „Neue Produktkonzepte zur Reduzierung der Energieaufnahme bei Jugendlichen“ im Rahmen des enable-Clusters. Das Ziel ist es, wohlschmeckende und gesündere Convenience-Produkte (Burger) zu entwickeln. Der wohlschmeckende „Niedrig-Kalorien-Burger“ besteht aus mehreren Komponenten: Burgerbrötchen, Fleischpatties, Saucen und Käse, die kombiniert eine Energiedichte von weniger als 190 kcal pro 100 g aufweisen sollen. Optimierungen an den Rezepturen sind nötig, da der alleinige Ersatz von Fett oftmals zu einer Veränderung der Textur, des Mundgefühls sowie der Aromawahrnehmung führt. Veränderungen im Geschmack und Aussehen akzeptieren Verbraucher jedoch nicht und das Produkt wird nicht gekauft. Zacherl stellte zudem die vom IVV entwickelten fettreduzierten Wurstwaren vor, die inzwischen in 14 verschiedenen Sorten unter dem Markennamen „vielLeicht“ im Handel erhältlich sind. Durch einen verbesserten Herstellungsprozess konnte der Fettgehalt auf unter 3 Prozent reduziert werden.

Zu viel Zucker! Zu viel Fett! Wie sinnvoll sind politische Vorgaben?

Über politische Perspektiven für zukünftige Präventionsmaßnahmen der Adipositas referierte Dr. Dietrich Garlichs von der Deutschen Diabetes Gesellschaft. Er stellte fest, dass die Adipositasentwicklung trotz zahlreicher Initiativen nicht gestoppt werden konnte. Der Grund: Die bisherige Strategie der Verhaltensänderung durch Informationen und Aufklärung sei gescheitert, benötigt werde ein Paradigmenwechsel zur Verhältnisprävention. Laut Garlichs sollten vorrangig folgende vier Maßnahmen umgesetzt werden, die eine frühzeitige und bevölkerungsweite Prävention ermöglichen:
  • Täglich mindestens eine Stunde Bewegung/Sport in Kita und Schulen,
  • adipogene Lebensmittel besteuern und gesunde Lebensmittel im gleichen Umfang entlasten,
  • verbindliche Qualitätsstandards für Kita- und Schulverpflegung sowie ein
  • Verbot von an Kinder gerichteter Werbung für adipogene Lebensmittel.
In der anschließenden Podiumsdiskussion bedachten Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik die Frage, wie Therapie und Prävention des Übergewichtes zum Wohle der Verbraucher gestaltet werden können.

Impressionen zum Wissenschaftsseminar