Studie
Analyse der ökonomischen Relevanz des europäischen Herkunftsschutzes

Die europäischen Herkunftsschutzsiegel sind längst europaweit etabliert, trotzdem war bisher nur wenig über die ökonomische Wirkungsweise der Zeichen bekannt. Anhand der beispielhaften Betrachtung mehrerer geschützter bayerischer Spezialitäten wurden 2019 in einer vom Kompetenzzentrum für Ernährung (KErn) beauftragten Studie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen (FAU) rückwirkend die wirtschaftlichen Effekte der Schutzinstrumente betrachtet. Hierbei konnte festgestellt werden, dass die Auswirkungen sehr unterschiedlich ausfallen: Preis- und Absatzeffekte sind nicht direkt aneinandergekoppelt. Bei Karpfen konnten beispielsweise Preiseffekte im näheren lokalen Umfeld festgestellt werden, bei Bier waren Absatzeffekte eher auf internationalen Märkten erkennbar.

Seit Anfang der 1990er Jahre können traditionelle Spezialitäten aus dem Bereich Lebensmittel und Agrarprodukte in der EU durch den europäischen Herkunftsschutz abgesichert werden. Doch welche wirtschaftlichen Auswirkungen hat die Nutzung der Siegel „geschützte Ursprungsbezeichnung (g.U.)“ und „geschützte geografische Angabe (g.g.A.)“ tatsächlich auf die gekennzeichneten Produkte? Trotz der mittlerweile recht langen Laufzeit des Instrumentariums war bisher wenig über die ökonomische Wirkungsweise der Siegel bekannt. Hier setzt eine vom KErn beauftragte Studie der FAU an, in welcher diese Effekte näher betrachtet wurden.

Der europäische Herkunftsschutz kurz vorgestellt

Zur Bewahrung der kulinarischen Vielfalt, und damit auch des europäischen Kulturerbes, wer-den seit den 1990er Jahren regional verankerte Produkte mittels europäischen Herkunftsschutzes unterstützt (Verordnungen EWG 2081/92, EU 1151/2012). Dieses Instrumentarium strebt an, irreführende Herkunftsangaben zu unterbinden und regional verankerte Produkte und Produktionsweisen vor Rufausbeutung, Nachahmung und Irreführung zu sichern. Dies zielt insbesondere auf folgende Aspekte ab:

  • raumbezogene Monopolisierung von Produktionsrechten
  • Verlagerung der Marktnachfrage in ein Herkunftsgebiet
  • Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen
  • Erhalt der kulinarischen Vielfalt und damit des kulturellen Erbes
  • steigendes Steueraufkommen für Kommunen
  • touristische Aufwertung der Region
  • Aufwertung der Region als Investitionsstandort

Dieser Politikansatz orientierte sich ursprünglich stark an der Rechtsauffassung Frankreichs und Italiens bezüglich deren Wein‐ und Käserechts. Aber auch Spanien, Portugal und Griechenland konnten das EU‐System schnell adaptieren. Bis heute ist das Instrument vor allem in den mediterranen Ländern etabliert, doch auch in Deutschland und insbesondere in Bayern gewinnt der EU-Herkunftsschutz immer mehr an Bedeutung. Von deutschlandweit über 90 geschützten Agrarprodukten und Lebensmitteln stammen 32 Erzeugnisse aus Bayern, also mehr als ein Drittel der bundesweit eingetragenen Produkte. Ergänzt man hier die bisher über gesonderte Verordnungen geregelten Weine, Spirituosen und aromatisierten weinhaltigen Getränke, kann Bayern sogar über 50 herkunftsgeschützte Spezialitäten vorweisen.

Herkunftszeichen
Durch die Verordnung EU 1151/2012 sind im Wesentlichen zwei Schutzmöglichkeiten geregelt, welche die Herkunft eines Produktes mit einer definierten Region verknüpfen:

Geschützte Ursprungsbezeichnung


Das Siegel „Geschützte Ursprungsbezeichnung“ (g. U.) darf nur ein Produkt tragen, das seine Güte oder Eigenschaften überwiegend oder ausschließlich den geografischen Verhältnissen, einschließlich der natürlichen und menschlichen Einflüsse, verdankt. Diese starke Prägung und enge Verbindung mit der Region ist nur möglich, wenn die Erzeugung, die Aufbereitung und die Verarbeitung, also alle drei Produktionsschritte, in dem eingegrenzten Gebiet erfolgen.

Geschützte geographische Angabe

Die Bezeichnung „Geschützte geografische Angabe“ (g. g. A.) erhalten Produkte, deren Qualität, Ansehen oder eine andere Eigenschaft wesentlich auf diesen geografischen Ursprung zu-rückzuführen ist. Die Region hat also dem Produkt einen deutlichen „Stempel“ aufgedrückt und es geprägt. Es müssen daher möglichst viele, aber mindestens der wertgebende Produktionsschritt in dem abgegrenzten geografischen Gebiet erfolgen. Die g. g. A. ist deshalb beispielsweise für Produkte geeignet, bei denen einzelne Vorstufen nicht in dem geografischen Gebiet erzeugt werden können (z. B. orientalische Gewürze für den Nürnberger Lebkuchen).

Entwicklung von Bier, Karpfen und Spargel analysiert

Um die ökonomische Relevanz der Schutzinstrumente zu identifizieren, wurden in der Studie rückblickend die Entwicklungen von geschützten bayerischen Produkten im Vergleich zu nicht geschützten Produkten analysiert. Beispielhaft wurden hierzu drei Produktbereiche mit insgesamt fünf g.g.A.-geschützten Produkten untersucht:

  • Bier: Bayerisches Bier g.g.A.
  • Karpfen: Aischgründer Karpfen g.g.A., Oberpfälzer Karpfen g.g.A.
  • Spargel: Franken Spargel g.g.A., Schrobenhausener Spargel g.g.A.

Bei der Auswahl dieser Produkte wurde darauf geachtet, sowohl eine gewisse Breite an Produktbereichen abzudecken (Getränke, Fisch, Gemüse), als auch eine differenzierte räumliche Ausdehnung der ökonomischen Effekte (lokal, bayernweit, EU-weit, global) darzustellen: während das Bayerische Bier ohne Frage ein eher marktmächtiges Produkt von globaler Bedeutung ist, handelt es sich im Gegensatz zu Aischgründer und Oberpfälzer Karpfen um deutlich lokalere, „kleinere“ Produkte.

Um die ökonomischen Wirkungen der Unterschutzstellung zu identifizieren, wurden die aus-gewählten bayerischen Spezialitäten mit entsprechenden, nicht geschützten Komplementärprodukten verglichen. Beim bayerischen Bier g.g.A. wurde als Vergleichsprodukt in Deutschland produziertes Bier herangezogen, im Spargelbereich diente Spargel aus deutschen Anbau-gebieten als Bemessungsgrundlage und die geschützten Karpfen wurden generell mit Karpfen aus anderen Regionen verglichen. Die Untersuchungen zeigten, dass die ökonomischen Wirkungen – wie in Tabelle 1 dargestellt – sehr unterschiedlich ausfallen können: Zum einen sind Preis- und Absatzeffekte nicht direkt aneinandergekoppelt, zum anderen sind die räumlichen Dimensionen der ökonomischen Effekte sehr unterschiedlich.

Wirkung des europäischen Herkunftsschutzes auf die untersuchten Produktbereiche (Quelle: Chilla/Fink, 2020)
 Bayerisches Bier g.g.A.Aischgründer Karpfen g.g.A.Oberpfälzer Karpfen g.g.A.Franken Spargel g.g.A.Schrobenhausener Spargel g.g.A.
Preiseffekteneutralsehr positivtendenziell positive Preisentwicklungneutral bis preisstabilisierende Wirkung (Preiserhöhung auf Grund von Rahmenbedingungen)preisstabilisierend bis preissteigernd
Absatzeffektepositiv, v.a. Export[unklar]absatzsteigernd (v.a. durch Imagegewinn)absatzsicherndabsatzsichernd
Rolle VerbraucherinfoProduktdefinition im AuslandVerbesserung Image lokale/regionale EbeneVerbesserung Image lokale/regionale Ebene[unklar]Schutz vor Namensmissbrauch
Räumliche DimensionenKaum im Herkunftsgebiet, klare Effekte im AuslandLokal klare Effekte, großräumig nichtLokal klare Effekte, großräumig nichtgeringe Bedeutung bei DV; Bedeutung bei Verkauf an LEH, GH, GastronomieLokale Effekte, überwiegend deutliche regionale Effekte. Bedeutung bei DV als auch bei LEH

Stark unterschiedliche Auswirkungen möglich

Beim Bayerischen Bier g.g.A. konnte der EU-Herkunftsschutz mit positiven Auswirkungen auf die Absatzeffekte in Verbindung gebracht werden, vor allem im Exportbereich. Somit stellt er ein wichtiges und bedeutendes Instrument bei der Erschließung von Auslandsmärkten dar. Neben den bereits im Ausland tätigen großen bayerischen Brauereien besitzen gerade die kleineren Brauereien auf Auslandsmärkten noch Potenzial, verstärkt mit dem Siegel der Europäischen Union auf sich aufmerksam zu machen. Übereinstimmend wurde von den befragten Personen angegeben, dass der Herkunftsschutz bei den unter Schutz gestellten Bieren aus Bayern keinen spürbaren Einfluss auf die Preisentwicklung nimmt.

Für den Aischgründer Karpfen g.g.A. hingegen konnte seit der Unterschutzstellung eine sehr positive Preisentwicklung verzeichnet werden. Auch beim Oberpfälzer Karpfen g.g.A. lässt sich ein positiver Einfluss auf die Preisentwicklung feststellen, wenn auch in etwas geringerem Ausmaß. Beim Absatz lässt sich in beiden Fällen zumindest eine gewisse Stabilisierung oder Steigerung festhalten. Hinzu kommen weitere „weiche“ Faktoren, wie beispielsweise die Zusicherung bestimmter Produkteigenschaften, die dem Endverbraucher als Schlüsselinformation beim Kauf dienen. Auch hat die Region durch die Image- und Werbemaßnahmen und die da-mit verbundene mediale Aufmerksamkeit eine Aufwertung erfahren, da zum einen die regionale Identität gestärkt wurde, zum anderen die touristische Vermarktung als Karpfenland verfestigt werden konnte.

Im Spargelbereich konnte der Europäische Herkunftsschutz beim Franken Spargel g.g.A. zu einer preisstabilisierenden Wirkung beitragen. Dies bezieht sich größtenteils auf die bessere Verhandlungsposition in Preisverhandlungen mit dem Lebensmitteleinzelhandel und dem Großhandel. Bei der Direktvermarktung ab Hof ist der Herkunftsschutz für den Endverbrau-cher kein entscheidendes Kaufkriterium. Eine Preissteigerung ist somit durch die Unterschutzstellung nicht nachweisbar, jedoch eine absatz- sowie preisstabilisierende Wirkung. Beim Schrobenhausener Spargel g.g.A. sind neben der absatzsichernden Wirkung auch preisstabilisierende bis preissteigernde Auswirkungen zu erkennen.

Verschiedene Effekt-Typen feststellbar

Hinsichtlich der räumlichen Ebene der ökonomischen Effekte des EU-Herkunftsschutzes lassen sich im Wesentlichen zwei Ausprägungen feststellen. Hierbei handelt es sich wie in Abbildung 1 dargestellt um „Typ A: lokale Effekte“ und „Typ B: Export-Effekte“. Von den untersuchten Produkten fallen Spargel und Karpfen in den Typ A, da beide Produktbereiche sehr stark traditionell lokal/regional verankert sind und der Export, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle spielt.

Das Bayerische Bier g.g.A. fällt hingegen in den Typ B, da es sich hier um ein exportorientiertes Produkt handelt, bei dem sich die räumliche Ausdehnung der ökonomischen Effekte vor allem auf dem europäischen und globalen Absatzmarkt konzentriert. Im Gegensatz zu den anderen untersuchten Produkten hat die Unterschutzstellung hier auf der lokalen und regionalen Ebene keine Effekte auf den Preis.

Herkunftsschutz lokale und Export-Effekte

©Chilla/Fink, 2020: Schematische Darstellung der ‚Preis‐ und Absatz‐Geographien‘. Links Typ A Lokale Effekte, Rechts Typ B: Export‐Effekte


Aus den Erkenntnissen der Studie ergibt sich zunächst, dass die ökonomischen Effekte des Herkunftsschutzes beträchtlich, jedoch zugleich stark unterschiedlich sein können. Wenn also die Beantragung oder die Implementierung des EU‐Herkunftsschutzes für bestimmte Produktgruppen überlegt wird, so ist die Frage weniger, ob oder wie stark der ökonomische Effekt sein wird. Vielmehr ist zu überlegen, ob eher ein Absatz‐ oder ein Preis‐Effekt angestrebt wird, und auf welchen Märkten dies erfolgen soll.

Den vollständigen Abschlussbericht zur Studie finden Sie hier:

Ökonomische Relevanz des europäischen Herkunftsschutzes pdf 1,2 MB

Weitere Informationen
Weitere Infos zum EU-Herkunftsschutz in Bayern finden Sie unter anderem auf folgenden Websites: