Kontrovers diskutiert
Bioökonomie – Chancen und Herausforderungen

Was sind die Vorteile einer biobasierten Wirtschaft? In welchen Gebieten gibt es noch Forschungsbedarf zum Thema Bioökonomie? Welche Rolle spielt der Verbraucher?

Diese und weitere Fragen diskutieren Prof. Dr. agr. Iris Lewandowski von der Universität Hohenheim und Barbara Scheitz, Geschäftsführerin der Andechser Molkerei Scheitz GmbH.

Prof. Dr. agr. Iris LewandowskiZoombild vorhanden

Prof. Dr. agr. Iris Lewandowski;
Foto: Lewandowski

Prof. Dr. agr. Iris Lewandowski
hat im Februar 2010 den Lehrstuhl und die Professur für Nachwachsende Rohstoffe und Bioenergiepflanzen an der Universität Hohenheim übernommen. Seit 2015 ist sie Mitglied des Sachverständigenrates Bioökonomie Bayern.
Barbara ScheitzZoombild vorhanden

Barbara Scheitz, Dipl. Betriebswirtin; Foto: Scheitz

Barbara Scheitz
ist seit 2003 die Geschäftsführerin der Andechser Molkerei Scheitz GmbH, die seit 2009 ausschließlich Bio-Milch und Bio-Milchprodukte herstellt. Barbara Scheitz ist Mitglied des Sachverständigenrates Bioökonomie Bayern.

In Bayern gibt es den Sachverständigenrat Bioökonomie, in dem Sie Mitglied sind. Was bedeutet die Bioökonomie für Bayern? Welche Strategien werden verfolgt?

Prof. Dr. Iris Lewandowski:
Der Rat ermittelt momentan die Stärken Bayerns und die Chancen, welche die Bioökonomie für Bayern darstellen könnte. So ist beispielsweise die Versorgung mit biogenen Rohstoffen durch einen starken sowie auch regional geprägten landwirtschaftlichen und forstwirtschaftlichen Sektor vergleichsweise gut. Die Ernährungswirtschaft, als wichtiger Teil der Bioökonomie, ist in der Lage qualitativ hochwertige Produkte effizient, das heißt unter guter Ausnutzung der gesamten Rohstoffe, zu erzeugen. Auch die Bioenergie kann in Bayern als etablierte und risikoarme Technologie gut genutzt werden.

Der Sektor Biotechnologie ist in Bayern gut ausgebaut und vernetzt. Hier besteht ein großes Interesse, den Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen zu steigern. In der Pharma- und Chemieindustrie sowie insbesondere in der Spezialchemie erscheint der Nutzen biogener Ressourcen ebenfalls erfolgversprechend.
Barbara Scheitz:
Die Bioökonomie kann für Bayern eine große Zukunftschance sein! Politik und lobbyunabhängige Wissenschaftler sollten einen zukunftstauglichen „Bioökonomie-Entwicklungsplan Bayern“ als „strategischen Masterplan“ für alle Gesellschaftsbereiche erstellen. Die Entwicklungspläne aller Wirtschaftsbranchen müssten sich dann diesem Konzept ein- und unterordnen!

Bisherige Bioökonomie-Akteure sind noch nicht in einem Masterplan integriert. Für eine ausreichend deutliche, ganzheitliche Abschätzung gibt es noch keine öffentliche strategische Beurteilung und Planung. Die Bürgerschaft sollte das Thema „Bioökonomie“ offensiv diskutieren. Damit sollten mögliche Fehlentwicklungen rechtzeitig aufgedeckt und möglichst frühzeitig korrigiert werden!

Welche Rolle spielt die Ernährung in der bayerischen Bioökonomie-Strategie?

Prof. Dr. Iris Lewandowski:
Die Ernährungssicherung steht in der Bioökonomie immer an erster Stelle. Insbesondere in Bayern wird die Erzeugung qualitativ hochwertiger Nahrungsmittel aus regional bereitgestellter Produktion aufgrund starker Ernährungswirtschaft eine wichtige Rolle in der jetzigen und zukünftigen Bioökonomie einnehmen.
Barbara Scheitz:
Feinsinnig beteuern alle Interessensvertreter, dass die Ernährung der Bevölkerung im „Bio-Ökonomiekonkurrenzfall“ selbstredend Vorrang haben sollte. Deswegen bleiben meine bisherigen Forderungen: unbestrittene Vorrangstellung der Ernährungsversorgung der Bevölkerung mit Notwendigkeiten wie Flächen-, Boden- und Grundwassersicherung, Aufbau bzw. Erhaltung der Biodiversität, unantastbarer Ressourcenschutz, Substanzsicherungen wie Renaturierungs- und Rückbauprogramme. Die Vorrangsbereiche verpflichten alle anderen Bioökonomie-Bereiche auf „respektvolle Distanz“!

Was sind die Vorteile einer biobasierten Wirtschaft? Wo sehen Sie Schwierigkeiten?

Prof. Dr. Iris Lewandowski:
Eine biobasierte Wirtschaftsweise ist in einer nachhaltigen Zukunft unumgänglich, auch deswegen, weil die fossilen Rohstoffe zur Neige gehen und ihre Nutzung zu einem Klimawandel mit erheblichen, negativen Effekten führt.

Regional und national gesehen bietet die Entwicklung der Bioökonomie die Chance zu Innovationen und der Schaffung neuer Produktionszweige sowie Einkommensmöglichkeiten. Insbesondere in der Produktion biogener Ressourcen liegen viele Chancen für Länder, die wenig eigene fossile Ressourcen haben, oder für Landwirte, die sich zusätzliche Märkte erschließen können.

Barbara Scheitz:
Gegenüber der zeitgenössischen „Ökonomie des Egoismus“ hat die ethisch begründete Bioökonomie nur Vorteile! Denn nur sie nutzt die vorhandenen Ressourcen nach Kriterien einer ökologischen Kreislaufwirtschaft, nur sie minimiert die Entropie! Nur mit ihr unterbleiben überflüssige, unsere Biosphäre schädigende, Einwirkungen und Umweltbelastungen.

Schwierigkeit bei der Einführung einer ethisch begründeten Bioökonomie gibt es durch die individuelle Unlust bei Fehlerkorrekturen, durch Bequemlichkeit und Egoismus der Menschen, aber auch wegen des drögen Beharrungsvermögens von Wirtschafts- und Politikstrukturen.

Was ist Ihrer Meinung nach besonders wichtig auf dem Weg zu einer biobasierten Gesellschaft? Welche Rolle spielt der Verbraucher?

Prof. Dr. Iris Lewandowski:
Der Wandel zur bioökonomischen Wirtschaftsweise erfordert einen Bewusstseinswandel. So werden mit der Entwicklung der Bioökonomie vielfältige Ziele einer nachhaltigen Entwicklung verfolgt, welche nur erreicht werden können, wenn stärker in Systemen und Gesamtzusammenhängen gedacht wird.

Das haben wir beim Ausbau der Bioenergie gesehen, die zu einseitig verfolgt wurde, ohne vorher mögliche Folgen auf andere Teile der Bioökonomie, wie zum Beispiel die Nahrungsmittelproduktion, zu analysieren. Zukünftig müssen wir in der Entwicklung bioökonomischer Strategien den gesamten Sektor, der Produkte aus der Land, Forst-, Fisch- und Abfallwirtschat nutzt, im Zusammenhang analysieren.

Dem Verbraucher kommt eine sehr wichtige Rolle zu, da sein Kaufverhalten letztlich steuert was wie produziert wird. Es ist eine wichtige Aufgabe innerhalb einer Bioökonomiestrategie, die Verbraucher aufzuklären und ihnen nachhaltigen Konsum nahezubringen. So kann der Verbraucher nicht erwarten, dass nachhaltig produziert wird, wenn er selbst das nicht nachhaltige, dafür aber billigere Produkt kauft. Ein lebendiges Beispiel hierfür ist die Erwartung der Verbraucher an tiergerechte Fleischproduktion und dann die nicht hinterfragte Wahl des billigsten Fleisches an der Supermarkttheke.
Barbara Scheitz:
Alle Bürgerinnen und Bürger wissen, dass wir uns aufgrund der zahlreichen aktuellen Umbrüche in der Welt jetzt intensiv um unsere Zukunftssicherung in Eigenverantwortung kümmern müssen! Die ethisch begründete Bioökonomie ist für uns eine große Chance, für die wir keinen Zeitverlust, aber auch keine Fehlentwicklungen dulden dürfen! Ich appelliere deswegen an alle Bürgerinnen und Bürger, die Entwicklung der Bioökologie wachsam zu verfolgen und bereit zu sein, sich einzumischen!

In welchen Gebieten gibt es noch großen Forschungsbedarf zum Thema Bioökonomie?

Prof. Dr. Iris Lewandowski:
Forschungsbedarf sehe ich entlang der gesamten Produktionskette biogener Produkte sowie in dem Verständnis zu den systemaren Zusammenhängen. Letzteres bezieht sich beispielsweise auf die Frage, wie die Märkte für Nahrungsmittel und nachwachsende Rohstoffe regional bis global interagieren und welche Produktionslinien zum besten Gesamtergebnis, zum Beispiel im Hinblick auf die Einsparung von Treibhausgasen, führen.

In der Produktion biogener Rohstoffe liegen die Forschungsaufgaben in der Entwicklung von Konzepten und Technologien zur nachhaltigen Produktion. Dies schließt Pflanzenzüchtung und Pflanzenproduktion für eine effizientere, emissionsärmere und ertragreichere Produktion ein.

Auf der Produktseite geht es neben der Herstellung neuer und vor allem besserer biogener Produkte auch um die Entwicklung effizienterer und kostengünstigerer Produktionsverfahren. Dabei meint die Herstellung „besserer“ biogener Produkte, dass diese Eigenschaften aufweisen, welche das aus fossilen Rohstoffen hergestellte Produkt nicht oder in geringerem Maße aufbieten kann.

Eine wichtige Forschungsaufgabe ist auch die Entwicklung der Produktions- und Wertschöpfungsketten, sodass die Eigenschaften des Rohstoffs „Biomasse“ möglichst gut auf die Anforderungen der Weiterverarbeiter und Nutzer der Biomasse angepasst sind und so, dass die Rohstoffversorgung verlässlich erfolgt. Denn eine große Herausforderung in der Bioökonomie ist die Heterogenität sowie zeitlich und räumlich unterschiedlicher Verfügbarkeit des Rohstoffs Biomasse sowie dessen eingeschränkte Transport- und Lagerbarkeit.

Barbara Scheitz:
Es braucht eine ethisch normierte Bioökonomie, die Prioritäten und Schwerpunkte für ihre Entwicklung setzt! Damit begründet sich der wissenschaftliche Forschungsbedarf. Zum einen müssen Analysen für alle „Leitbranchen“ unserer Wirtschaft erstellt werden, zum anderen diese Ergebnisse in das postindustrielle „Wirtschaftsmodell Bioökonomie“ so intelligent und branchenvernetzt transformiert werden, dass dadurch gleichzeitig viele positive Wachstumsschübe dieser revolutionären Wirtschaftsreform ausgelöst werden!

Welche globalen Probleme können mit Hilfe der Bioökonomie aus Ihrer Sicht gelöst werden?

Prof. Dr. Iris Lewandowski:
Wie bereits angesprochen, kann eine nachhaltige Bioökonomie erheblich zum Klimaschutz beitragen, indem sie hilft, von fossilen Rohstoffen unabhängig zu werden.

Zum Thema Ernährungssicherung müssen wir eine globalere Sichtweise einnehmen. Ob es irgendeinen Effekt des Anbaus nachwachsender Rohstoffe auf die Ernährungssituation außerhalb Deutschlands gibt, wissen wir nicht wirklich, weil die globalen Zusammenhänge in der Bereitstellung und Nutzung von Agrarrohstoffen bisher wenig verstanden sind. Zudem haben sich vielfältige Faktoren, wie Trockenheitsperioden und Spekulationen, in der Vergangenheit meist stärker auf die Preise von Agrarprodukten ausgewirkt als deren zunehmende Nutzung als Biotreibstoffe. Bekannt ist, dass die Ernährungssicherheit ärmerer Bevölkerungsgruppen eher davon bestimmt wird, ob sie sich die in ausreichender Menge vorhandenen Nahrungsmittel leisten können oder ob die vorhandenen Nahrungsmittel dahin gelangen, wo sie benötigt werden.

Konkret vor Ort können wir vor allem dafür sorgen, dass die vorhandenen Flächen möglichst effizient genutzt werden, wofür die Höhe des Ertrages meistens der beste Indikator ist. Außerdem ergeben sich vielfältige Möglichkeiten der Doppelnutzung von Flächen für die gleichzeitige Produktion von Nahrungsmitteln und nachwachsenden Rohstoffen. Dies ist der Fall bei der Weizenproduktion, wenn das Korn als Brotgetreide geerntet wird, das Stroh als nachwachsender Rohstoff genutzt wird und ein Ausgleich des Humusgehaltes im Boden über den Anbau von Zwischenfrüchten oder eine optimierte Fruchtfolge gelingt. Die Entwicklung und den Anbau von solchen Doppelnutzungspflanzen sollten wir weiter ausbauen und dafür sorgen, dass die produzierte Biomasse effizient eingesetzt wird, um ihren Bedarf zu reduzieren.

Barbara Scheitz:
Die Durchsetzung einer ethisch normierten Bioökonomie ist Grundbedingung dafür, dass wir die krisenhaften Umwelt- und Wirtschaftsprobleme unserer Welt wieder geregelt bekommen! In den letzten Jahrzehnten hat die bisher betriebene Umweltpolitik in Deutschland und Bayern zwar manche Verbesserungen erreicht – allerdings vergrößerten sich viele Umweltprobleme, u. a. beim Ressourcenverbrauch oder bei den Belastungen von Grundwasser, Klima, Biodiversität.