kontrovers diskutiert
Ernährungswissenschaft im Fokus

Ernährungswissenschaft in Deutschland – wo stehen wir heute? Wo sollten wir hin? Diese Fragen diskutieren Prof. Dr. rer. nat. Dr. rer. nat. habil. Gerhard Rechkemmer, Präsident und Professor am Max Rubner-Institut in Karlsruhe, und Prof. Dr. oec. troph. habil Hannelore Daniel, Lehrstuhl für Ernährungsphysiologie an der Technischen Universität München.

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Prof. Dr. Gerhard Rechkemmer; Foto: Max Rubner-Institut

Prof. Dr. rer. nat. Dr. rer. nat. habil. Gerhard Rechkemmer
ist seit 2008 Präsident und Professor am Max Rubner-Institut in Karlsruhe. Seine Forschungsinteressen liegen insbesondere bei den Themen Epitheltransport, Sekundäre Pflanzenstoffe, Ballaststoffe und Darmmikrobiom. Er ist Honorarprofessor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und außerplanmäßiger Professor für Physiologie an der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover. Des Weiteren ist er gegenwärtig Mitglied diverser Beratungsgremien.
Portrait Prof. Dr. Hannelore DanielZoombild vorhanden

Prof. Dr. Hannelore Daniel; Foto: Technische Universität München

Prof. Dr. oec. troph. habil Hannelore Daniel
vertritt seit 1998 den Lehrstuhl für Ernährungsphysiologie an der Technischen Universität München (TUM). Sie erforscht die Grundlagen der Nährstoffversorgung im Säugetier auf genetischer, struktureller und funktioneller Ebene sowie deren Anpassung auf Veränderungen der Ernährungsumwelt und Alterungsprozesse. Daniel ist zudem Mitglied der Akademie der Wissenschaften Leopoldina, diverser nationaler und internationaler Beratungsgremien, Aufsichtsräte und Fachgesellschaften.

Wie ist die Ernährungswissenschaft entstanden? Warum gibt es sie? Warum ist sie wichtig?

Professorin Daniel:
Die Ernährungswissenschaft bildete sich in Deutschland aus den Haushalts- und Ernährungswissenschaften heraus. Im Wirkungsbereich der Agrarwissenschaft ist in Gießen, in den 1960er-Jahren, die Idee entstanden, jungen Frauen eine akademische Ausbildung zu allen Teilbereichen der Versorgung und Ernährung einschließlich Haushaltsführung und Familiensoziologie zu bieten.

Die Oecotrophologie hat sich zwischenzeitlich, wie alle Wissenschaftsbereiche, emanzipiert und diversifiziert. So gibt es eine verselbständigte Haushaltswissenschaft und eine Ernährungswissenschaft, die sehr viel akademischer sind als früher. Die Ernährungswissenschaft reicht dabei von der Genetik und Zellbiologie zur Epidemiologie und Biomedizin. Dennoch versteht sich die Ernährungswissenschaft in erster Linie immer noch als eine Versorgungswissenschaft – und zwar zur Verbesserung der Volksgesundheit. Das heißt, sie definiert ihre Bedeutung im Wissenschaftsbetrieb vor allem über die Ernährungsprobleme der Bevölkerung. Umgekehrt wird eben auch von der Ernährungswissenschaft erwartet, beständig Antworten auf alle angewandten Fragen des Essens und der Ernährung zu liefern. Wie kaum eine andere Wissenschaft konnte sie sich nie darüber definieren, dass sie grundlegende und ebenso spannende Fragen bearbeitet – losgelöst davon, ob sie jetzt vordergründig der Gesellschaft und der Gesundheit dienlich sind oder nicht. Eine Wende hat sie allerdings geschafft, denn noch in den 1960er-Jahren hieß es, wir sind wichtig, weil wir Sorge tragen, dass die Bevölkerung genügend Nährstoffe bekommt. Die Wende war, dass sie heute sagen kann, wir sind wichtig, weil die Energiezufuhr der Bevölkerung zu hoch und der Energieverbrauch zu gering ist. Die Frage ist, wie sieht Ernährungswissenschaft 3.0 oder 4.0 aus?

Mein Plädoyer lautet: Wir sollten uns nicht wichtig nehmen, weil die Gesellschaft Probleme hat, sondern wir sollten uns wichtig nehmen, weil die Fragen, die wir wissenschaftlich bearbeiten, wichtig sind. Die Fragen können bedeutungslos für die Gesellschaft sein, aber extrem relevant aus einer wissenschaftlichen Perspektive. Ich würde mir wünschen, dass die Ernährungswissenschaft auch in andere Wissenschaftsbereiche eindringt – und das tut sie glücklicherweise.
Professor Rechkemmer:
Ein Mediziner und Physiologie, Max Rubner, war einer der ersten Wissenschaftler, die in Deutschland Ernährungsforschung auf hohem wissenschaftlichem Niveau betrieben. Bei seiner Forschung ging es zunächst um die Energiebilanz und den Energiegehalt von Lebensmitteln. Aber wie es zu damaligen Zeiten war – Max Rubner starb 1932 – bearbeitete man sein Forschungsgebiet viel umfassender als heute, so befasste sich Rubner auch mit Fragen der Hygiene oder der Haushaltsführung.

Das Fach Ernährungswissenschaften entstand in den 60er- und 70er-Jahren im Umfeld der Agrarforschung und war damals wie auch heute an vielen Ausbildungsstätten in den agrarwissenschaftlichen Fakultäten eingegliedert. Während es zunächst um die Forschung rund um die Ernährung, z. B. die Deckung des Bedarfs an essentiellen Nährstoffen ging, spaltete sich das Fach später auf. In einigen Universitäten wurden die Haushaltswissenschaften einbezogen und der „Oecotrophologe“ in Abgrenzung zum Ernährungswissenschaftler wurde als Berufsbezeichnung eingeführt. Während sich die eigentlichen Ernährungswissenschaften weitgehend auf naturwissenschaftliche Inhalte konzentrierten, integrierten die Oecotrophologen auch in zunehmendem Maße soziologische Aspekte wie Ernährungsverhalten oder Themen wie Haushaltsökonomie.

Mit der Bologna-Reform hat sich inzwischen im Zuge der Einführung von Bachelor- und Master-Studiengängen eine Vielzahl unterschiedlicher Schwerpunktsetzungen ergeben, die dem Studiengang eine ganz neue Breite geben. Auch die Orte, an denen man Ernährungswissenschaften oder Oecotrophologie studieren kann, haben zugenommen: neben Gießen, sind es heute Stuttgart-Hohenheim, München, Bonn, Kiel, Potsdam, Jena, Halle und zahlreiche Hochschulen mit eigenen Profilen.
Diese Breite und eine insgesamt eher wachsende Bedeutung des Themas in der Forschung sind wichtig, um die äußerst komplexen, interdisziplinären Zusammenhänge zwischen Essen und Trinken sowie der Gesundheit – physisch, aber auch psychisch – immer weiter tiefergehend aufklären zu können.
Es ist leicht zu beobachten, dass die Bedeutung des Themas Ernährung in der Gesellschaft in den letzten Jahren enorm zugewonnen hat. Wie die WHO regelmäßig meldet, steigt auch heute noch global die Rate an nicht-übertragbaren Krankheiten immer weiter. Zur Kategorie „nicht-übertragbare Krankheiten“ zählen auch Krankheiten, die in einem Zusammenhang mit der Mangel- oder Fehl-Ernährung stehen. Was könnte wichtiger sein, als das Wissen zu generieren, um diese Krankheiten womöglich vorbeugend zu vermeiden, zumal nicht nur die Rate der Krankheiten, sondern auch die Todesfälle in dieser Kategorie zunehmen.
Neben diesen direkten angewandten Aspekten kommt jedoch der Ernährungswissenschaft in der Nutzung neuer biomedizinischer Methoden eine zunehmende Bedeutung zu, z. B. im vertieften molekularen Verständnis, der durch bioaktive Moleküle aus Lebensmitteln vermittelten zellulären Regulations- und Signalmechanismen im Hinblick auf Zelldifferenzierungs- und Zellalterungsprozesse. Hier kann die Ernährungswissenschaft mit den modernen Methoden (Omics-Technologien, bildgebende Verfahren) neue Erkenntnisse liefern und damit viel stärker als in den vergangen Jahrzehnten zu neuen Erkenntnissen der biomedizinischen Forschung insgesamt beitragen.

Ernährungswissenschaft in Deutschland – wo stehen wir heute? Wo sollten wir hin?

Professorin Daniel:
Das Thema Ernährung sollte einerseits stärker in der Biologie verankert werden, andererseits aber auch in der Verhaltenswissenschaft. Wir sollten uns mit der Frage beschäftigen, wie sich die organismische Welt ernährt. Ich freue mich sehr darüber, dass das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig – mit einer Nachwuchsgruppe – nun untersucht, welche Bedeutung die Ernährung in der Menschheitsentwicklung/Menschwerdung hatte. Wie wichtig war die Hitzebehandlung, die Anwendung von Feuer und andere Küchentechniken für die Entwicklung der Menschen? Das sind extrem spannende Fragen und sind damit geeignet das Wissenschaftsfeld voranzubringen.
Professor Rechkemmer:
Einige Aspekte sind bereits in der vorherigen Frage beantwortet worden, aber es sind durchaus auch noch neuere Entwicklungen im Gange, die für die Ernährungswissenschaft künftig von Bedeutung sein werden. Dazu gehören z. B. Methodenentwicklungen der nicht-invasiven Bestimmung des Ernährungsstatus, bildgebende Methoden zu Stoffwechselprozessen und deren neuronaler Steuerung, die Nutzung moderner Informationstechnologien zur Bestimmung des Ernährungsverhaltens oder die bioinformatische Nutzung großer Datenbestände. Diese Entwicklungen können nur in einer verstärkten inter- und transdisziplinär ausgerichteten Wissenschaft sinnvoll genutzt werden. Die Ernährungswissenschaft könnte hierbei als zentrale Wissenschaftsdisziplin fungieren, um diese äußert komplexen Informationen zusammenzuführen und zu interpretieren.

Ist eine bessere Vernetzung des Sektors Lebensmittel/Ernährung/Gesundheit notwendig? Ist die BMBF-Ausschreibung "Kompetenzcluster der Ernährungsforschung" eine Chance?

Professorin Daniel:
Eine wirklich enge und tragfähige Vernetzung unterschiedlicher Disziplinen klappt selten. Das gilt nicht nur für den deutschen Wirkungskreis, sondern auch in der internationalen Dimension. Unterschiedliche Wissenschaftskulturen mit unterschiedlichen methodischen Ansätzen und Herangehensweisen zusammenzuführen, erfordert einen mühsamen Dialog-Prozess und auf diesen müssen sich alle Beteiligten einlassen. Es gibt Länder, in denen mit großem Aufwand über viele Jahre versucht wurde, die Fachgebiete der Lebensmittelchemie, Lebensmitteltechnologie und Humanernährung stärker zusammenzubringen. Es funktioniert unterschiedlich gut, wirklich überzeugend, ist es meines Erachtens an keinem der mir bekannten Standorte gelungen. Vielfach besitzen die Aktivitäten eine Alibifunktion, und je nachdem ob eine Fördereinrichtung ganz spezifisch Geld für solche Projekte ausschüttet, funktioniert es mal transient. Das wird künftig noch problematischer werden, weil die Spezialisierung des Wissenschaftsbetriebes rasant voranschreitet und dies fast schon kontraindiziert ist für die interdisziplinären oder metadisziplinären Ansätze. Auch sind die wissenschaftlichen Bewertungs- und Incentivierungssysteme nicht für transdisziplinäre Ansätze geeignet.
Die Absicht der Ausschreibung der Kompetenzcluster der Ernährungsforschung war es, nicht nur die fragmentierte Forschungslandschaft regional zu bündeln, sondern dort auch tatsächlich über Disziplingrenzen zu gehen. Geld hilft bekanntlich, aber Geld ist nicht alles. Das eigentliche Nadelöhr ist die begrenzte Zeit der Beteiligten. Es müssen auch die richtigen Menschen beteiligt sein, die bereit sind, sich auf diesen mühsamen Prozess einzulassen.
Professor Rechkemmer:
Immer tiefer dringen Wissenschaftler etwa in die Zusammenhänge zwischen dem Verzehr bestimmter Lebensmittel, der genetischen Ausstattung der Menschen und der physiologischen Wirkungen ein. Gerade bei den sogenannten „Omics“-Methoden – Proteomics, Genomics und zuletzt dazu gekommen Metabolomics – gibt es noch viel zu erforschen und ein riesiges Potenzial, um in Zukunft Gesundheit zu erhalten, Krankheit zu verhindern sowie die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Facetten des Lebensstils besser zu verstehen. Diese Forschung führt die Ernährungswissenschaften sehr nahe an Fachgebiete wie Medizin, Biochemie, Lebensmittelwissenschaften, Psychologie und Sozialwissenschaften – entsprechend wäre es sinnvoll hier zusammenzuführen, was inhaltlich zahllose Schnittpunkte zeigen. In Teilaspekten ist dies in Institutionen wie dem Max Rubner-Institut und dem Deutschen Institut für Ernährungsforschung realisiert, aber auch hier besteht in vielen Bereichen noch der Bedarf an einem weiteren institutionellen Ausbau, um die zahlreichen interdisziplinären Aspekte in einer Einrichtung kongruent bearbeiten zu können. An den Universitäten und Hochschulen besteht eher die Gefahr einer Überspezialisierung durch die zahlreichen unterschiedlichen Ausrichtungen der Bachelor- und Masterstudiengänge. Damit könnte der Blick auf die Gesamtsituation des zusammengehörenden Forschungsgebiets Ernährung, Gesundheit, Gesellschaft verloren gehen.

Sollte ernährungswissenschaftliche Forschung mehr gefördert werden? Woher sollte das Geld kommen?

Professorin Daniel:
Wir haben in Deutschland kein Geldproblem: Das Bundesforschungsministerium fördert die Ernährungsforschung konstant über die letzten 25 Jahre, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt nach wie vor exzellente Grundlagenforschung. Es gibt kaum eine so gute Fördereinrichtung auf dieser Welt, auf die man so stolz sein kann wie auf die DFG. Das Problem liegt woanders: Die Ernährungswissenschaftler stellen kaum Anträge auf Förderung bei der DFG, da diese bekanntlich vor allem Grundlagenforschung aber eben keine anwendungsbezogene Forschung fördert. Ernährungsforschung wird in Deutschland daher eher durch das Bundesforschungsministerium (BMBF) und Länderministerien sowie Stiftungen gefördert – auch durch EU-Forschungsprogramme, obwohl die Deutschen in Brüssel kaum präsent sind. Warum? Weil es ihnen national so gut geht.
Professor Rechkemmer:
Regelmäßig wird kritisiert, dass Aussagen der Ernährungswissenschaften immer wieder revidiert werden müssten. Neben dem schlichten Fortschritt der Forschung liegt das auch daran, dass Aussagen etwa aus Zellkulturen oder aus Forschung mit Tiermodellen nur sehr begrenzt auf den Menschen und seine Lebenswirklichkeit übertragbar sind. Von elementarer Bedeutung sind für die Ernährungswissenschaften prospektive epidemiologische Studien mit großen Fallzahlen sowie kontrollierte Interventionsstudien mit Menschen und der Anwendung modernster Methoden. Solche Studien sind aber besonders aufwendig durchzuführen und entsprechend teuer. Schon allein darum ist eine gute finanzielle Ausstattung für dieses Forschungsgebiet wichtig – und gerade weil es hier Interessen von vielen Seiten geben könnte, muss die wissenschaftliche Unabhängigkeit gesichert sein.

Die in den letzten Jahren stark zunehmenden Forderungen der Forschungspolitik, sowohl im nationalen als auch im europäischen Rahmen, auf einen starken Anwendungsbezug und auf Innovationen sowie eine möglichst umgehende Umsetzung in wirtschaftlich verwertbare Produkte, macht die diesbezügliche Vergabe von Forschungsmitteln unter zwingender Beteiligung von Wirtschaftsunternehmen gerade in der ernährungswissenschaftlichen Forschung problematisch und unterliegt einer zunehmenden gesellschaftlichen Kritik. Aufgrund eines erheblichen Kenntnisdefizits sollte ein wesentlicher Teil der ernährungswissenschaftlichen Forschung als grundlagenorientierte Forschung und damit frei von einem direkten Anwendungsbezug finanziert werden. Die diesbezüglichen Möglichkeiten bei der DFG werden aber nur unzureichend wahrgenommen. Dies mag mit der bisher nach wie vor kleinen Zahl entsprechend qualifizierter Forscher und dem ständigen Rechtfertigungsdruck für die Existenzberechtigung dieser Disziplin im Bereich der Grundlagenforschung zusammenhängen.

Sollte sich in der Kommunikation der Forschungsergebnisse etwas ändern? Wie sollte eine sachgerechte Ernährungskommunikation aussehen?

Professorin Daniel:
Die Wissenschaftskommunikation im Bereich Ernährung zeigt eine fatale Entwicklung. Den Konsumenten erreicht eine Kakophonie – mal ist Milch gesund, mal ungesund – die den Menschen nicht mehr nützlich ist. Wissenschaftler können mit den Widersprüchen und den Dissonanzen bestens umgehen, weil sie die Ergebnisse einordnen können. Die Konsumenten sind jedoch nicht in der Lage zu beurteilen, wie wertvoll eine Information ist. Was sind die Konsequenzen für den Konsumenten? Ein Teil zieht sich zurück und ignoriert jedwede Ernährungsinformation und diesen Teil der Bevölkerung erreicht man auch nie mehr. Der andere Teil ist völlig verwirrt und verunsichert – ja ist förmlich krank; und dieses Ergebnis von Wissenschaftskommunikation ist ethisch kaum mehr vertretbar. Wir brauchen meines Erachtens ein Bewertungssystem für die Informationen die dem Verbraucher und Steuerzahler vermittelt werden sollen. Was sagt diese Studie aus? Wer steckt dahinter? Ist das ein Befund, der einen Stern oder fünf Sterne wert ist? Ist das eine Qualität von Wissenschaft, die einen Stern oder fünf Sterne verdient? Hotels werden mit Sternen klassifiziert, warum können wir nicht auch wissenschaftliche Informationen klassifizieren? Es ist schwierig, aber wir sollten darüber nachdenken und anfangen.
Professor Rechkemmer:
Bei der Kommunikation von Forschungsergebnissen muss man unterscheiden. Zunächst ist hier die Kommunikation in wissenschaftlichen Zeitschriften für die Wissenschaftler die oberste Priorität. Schon hier ist es notwendig darauf zu achten, dass die Vorschriften für das Publizieren eingehalten werden und dass der Peer-Review-Prozess auch wirklich verantwortlich durchgeführt wird.

Wenn Wissenschaftler in Fachmedien selbst berichten oder Pressestellen Forschungsergebnisse weitergeben, ist die Verantwortung jedes Einzelnen gefragt. Selbstverständlich ist darauf zu achten, dass Ergebnisse nicht aufgebauscht werden, um mehr Aufmerksamkeit dafür zu erlangen und dass Methoden und deren Grenzen klar kommuniziert werden.

Dies gilt in gleichem Maße für Journalisten. Ein Problem, dem wir am Max Rubner-Institut immer wieder begegnen sind Journalisten, die nicht das fachliche Wissen haben, um die Themen, über die sie berichten, selbst – zumindest bis zu einem gewissen Grad – zu durchdringen. Ein Problem, das bei angewandten Wissenschaften nicht selten ist. Wie aber soll ein solcher Journalist erkennen können, ob er mit seinem Ansprechpartner einen seriösen Wissenschaftler vor sich hat – oder womöglich einen der selbsternannten Experten, die es gerade beim Thema Ernährung sehr häufig gibt? Insbesondere, wenn die Zeit drängt und mehr als ein Gespräch zum Thema nicht vorgesehen ist? In diesem Sinne würden wir uns mitunter wünschen, die Journalisten würden das Thema Ernährung ernster nehmen und es würde von Redaktionen nicht als ein Thema für Volontäre oder Praktikanten gesehen, da diese ja auch „jeden Tag Essen und Trinken und deshalb für Ernährungsthemen kompetent“ seien. Es geht nicht darum, dass Journalisten Ernährungswissenschaftler sein müssen, um gut über das Thema zu schreiben, aber einige wissenschaftliche Grundlagen sollten doch vorhanden sein. Wenn dann die journalistischen Sorgfaltspflichten noch beherzigt werden, wäre der Ernährungskommunikation insgesamt gesellschaftlich sicherlich besser gedient.

Sollte ein Ethik-Kodex entwickelt werden? Sollte er für alle Journalisten und Wissenschaftler bindend sein? Welche Punkte sollte er Ihrer Meinung nach beinhalten?

Professorin Daniel:
Ja, wir brauchen in der akademischen Forschung einen Ethik-Kodex und Transparenz und das vor allem bei der Beteiligung von Unternehmen. Wissenschaft verliert – und das zeigen Ergebnisse der Eurobarometer-Studien der EU ihre Glaubwürdigkeit wenn die Forschung von der Industrie (mit)finanziert wird. Und dies gilt im Ernährungssektor noch viel mehr als in anderen Wissenschaftsfeldern. Allerdings verlangt sowohl die EU als auch das BMBF, dass wir Unternehmen integrieren, wenn wir Forschungsanträge stellen – während uns der Steuerzahler dann gleichzeitig die Glaubwürdigkeit der Befunde hinterfragt. Zugleich wird den Wissenschaftlern in den Medien die Neutralität abgesprochen, wenn sie in Gremien der EFSA oder von nationalen Einrichtungen als Experten tätig sind. Ich darf zum Beispiel bei Industrieprojekten kaum öffentlich erklären, welchem Zweck sie dienen, da die Juristen Angst haben, dass ich gegen eine Verschwiegenheitsvereinbarung verstoße. Ist es also gut, wenn wir nicht mit der Industrie reden? In vielen Bereichen wie z. B. im Automobil- oder Maschinenbau ist es selbstverständlich mit der Industrie zu kooperieren und da hat auch der Konsument kaum Einwände. Das ist in der Ernährungsforschung ganz anders und daher müssen die Regeln für das Dreieck – Öffentlichkeit, Wissenschaft und Industrie – neu definiert werden.
Professor Rechkemmer:
Für beide Personengruppen, Wissenschaftler und Journalisten, gibt es bereits dezidierte Regelwerke und ein ausgeprägtes Berufsethos – zumindest in der Theorie. Im Wissenschaftsbetrieb gilt die „gute fachliche Praxis“ wie sie die DFG formuliert hat und wie sie viele wissenschaftliche Institutionen übernommen haben als absolut ausreichend als Leitlinie. Wenn sich die Wissenschaftler daran halten, ist die Forschung sauber geregelt. Verstöße werden entsprechend geahndet. Auch Journalisten haben einen anspruchsvollen Pressekodex und einen Presserat, der mehr oder weniger engmaschig die Einhaltung überwacht. Das Berufsethos der Journalisten verlangt eigentlich eine saubere Recherche, mehrere Stimmen zu jedem Thema zu hören und eigene Meinungen in den Hintergrund zu stellen usw. Allerdings sind sowohl in der Wissenschaft als auch im Journalismus die äußeren Bedingungen nicht immer optimal. Und wo Menschen unter hohem Druck agieren, sei es ein Zeitdruck, sei es ein finanzieller Druck, oder schlicht, wenn durch kurze Verträge kein Erfahrungswissen aufgebaut werden kann, dann hilft es auch nicht, einen Kodex zu erstellen.

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