„Wir sind auf dem Weg in eine Zukunft, in welcher die Optimierung der Nutzung von Roh- und Reststoffen zur Maxime geworden ist.”

Hans Schürger, Unternehmer im Bereich Umwelt- und Sensortechnik

Hannes Schürger, Unternehmer im Bereich Umwelt- und Sensortechnik

Hannes Schürger hatte 2017 das Unternehmen Waste Works WTW GmbH zusammen mit weiteren Gründer ins Leben gerufen. Das Unternehmen ist mit modularen, flexiblen Abfallentsorgungslösungen international auf dem Markt vertreten.

Was war Ihr zentrales Anliegen bei der Gründung des Unternehmens?
Unser zentrales Anliegen war es, sinnvolle Umwelttechnologie auf den Markt zu bringen. Neue Fragen erfordern neue Antworten: Wir werden auf dem Weg in eine Zukunft, in welcher die Optimierung der Nutzung von Roh- und Reststoffen zur Maxime geworden ist, mehr und mehr dezentrale Infrastrukturtechnologien benötigen, die am besten unter- und miteinander kombinierbar sowie modular und flexibel sein sollten. Aufgrund der Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft hatte sich bei der Firmengründung für uns einerseits die Erfordernis, aber andererseits auch die Chance ergeben, die Digitalisierung als Geschäftsmodell im Umwelttechnikbereich zu integrieren.

Die digitale Roh- und Reststoffplattform des KErn verändert vieles zum Positiven

Wie schnell sich die Digitalisierung auch auf unsere Produkte und Services auswirken würde, konnten wir bei der Unternehmensgründung nicht absehen. Vor allem das Projekt „Digitale Roh- und Reststoffplattform“ des KErn verändert hier vieles – zum Positiven. Die Plattform, deren Prototyp derzeit entsteht, wird in digitaler Form Roh- und Reststoffe erfassen und deren Verfügbarkeiten sowie die Entwicklung mittels Einsatz und Nutzung moderner, innovativer digitaler Technologien auswerten. Umgekehrt verfügt unser Unternehmen über neue dezentrale Technologien wie kleine, flexibel betreibbare containerbasierte Biogasanlagen, die Daten und Prognosen der digitalen Plattform nutzen bzw. die auf Grundlage dieser Daten und Prognosen optimiert eingesetzt werden können. Ebenso arbeiten wir zusammen mit Partnern aus der Wissenschaft an Lösungen, um auch die großen Anlagen so zu flexibilisieren, dass diese ideal in eine solche digitale Plattform integriert werden können. Weltweit wird der Markt an Digitalisierungslösungen in der Landwirtschaft bis ca. 2023 mit ungefähr 26 Milliarden USD beziffert.

Die Bioökonomiestrategie 2030 der Bundesregierung setzt auf biobasiertes Wirtschaften als Schlüsselkompetenz einer zukunftsfähigen Gesellschaft und Schutz von Umwelt und Ressourcen. Wie sehen Sie die Chancen für eine effiziente Umsetzung nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke, zum Beispiel für nachwachsende Roh- und Reststoffe?

Ich begrüße diese Strategie sehr – nur – sie dauert mir viel zu lange. Leider soll nach unserem Wirtschaftsverständnis der Markt auch die Nutzung von Roh- und Reststoffen regeln. Das tut er viel zu langsam oder in die falsche Richtung.
Allerdings wird die Digitalisierung die Nutzung von Roh- und Reststoffen enorm stärken. Beispielsweise sind mittels Blockchain-Technologie und eines Smartphones ganz neue Vertrags- und Zahlungsmöglichkeiten und die Teilnahme vieler neuer Akteure möglich. Ein Beispiel: Kooperationspartner von uns bieten Mobiltelefone an, die auf dem sogenannten „CrowdSensing“ beruhen. Dabei werden die Mobiltelefone der Nutzer, unter deren aktiver Mitwirkung, als Erfassungsgeräte (Bild, Ton, Standort usw.) genutzt. Umgekehrt können die Nutzer bestimmte Arten von Anreizen, wie digitale Währungen, als „Belohnung“ für ihre Mitwirkung erhalten. Ein weiterer Vorteil ist, dass Handynetze weitverbreitet sind, auch in weniger entwickelten Ländern. Darauf richten wir unsere dezentralen Systeme aus: Eine Person, die Roh- und Reststoffe zur Sammel- bzw. Verwertungsstelle bringt, kann dafür sofort digital entlohnt werden – ohne ein Bankkonto zu besitzen.
Grundsätzlich bin ich der Ansicht, dass eine digitale Plattform ein modernes und auch basisdemokratisches Element ist, über das wir viele Bereiche der Gesellschaft, auch die Landwirtschaft besser moderieren und steuern können – unter Einbeziehung aller Menschen, nicht für den Vorteil einiger weniger.

Welche Rohstoffe könnten aus Ihrer Sicht stofflich allgemein besser genutzt werden?

Im Grunde genommen alle. Ist die vermehrte Verbrennung von Holz in Kaminöfen zum Beispiel eine sinnvolle Sache? Oder könnte der Rohstoff anderweitig besser genutzt werden? Das Gesamtsystem wird ja leider von der Maxime gesteuert: Welche Roh- und Reststoffe erzielen welchen Preis? Hier wird die Politik in den kommenden Jahrzehnten viel stärker eingreifen müssen, um dies zu verbessern. Der Verbraucher bestimmt zwar – wenn er bestimmen möchte. Aber solange die Politik nicht mehr steuert, wird sich nichts ändern. Wir alle wissen, dass wir viel zu viele Rohstoffe verbrauchen und unser ökologischer Fußabdruck viel zu groß ist. Die Bioökonomie wird somit für uns alle, auch für die kommenden Generationen, überlebenswichtig sein.
Leider bestimmen rein wirtschaftliche und persönliche Interessen das Handeln unserer Gesellschaft, eine Verbrennung unseres Mülls wäre sonst nie und nimmer auch nur ansatzweise vorstellbar: Wertvolle Rohstoffe werden verbrannt und müssen dann teuer als hochgiftiger Sondermüll (Filterstäube) deponiert werden. Wir bieten für die Dritte Welt neue Entsorgungsansätze an. Die besonders im Hausmüll enthaltenen organischen Stoffe werden unter Produktion von Energie wie Bio- oder Kochgas (in Flaschen abgefüllt) in wertvollen, hygienisch aufbereiteten organischen Dünger verwandelt.
Hier in Deutschland wird es in absehbarer Zukunft vermehrt zur Entwicklung sogenannter Bioraffinerien kommen, die aus organischen Reststoffen einzelne Grundstoffe produzieren können. Der Einsatzstoff wird in mehrere Grundstoffe aufgespalten und weitergenutzt, eine sogenannte Kaskadennutzung. Das Ganze steht im Zusammenhang mit der Entwicklung von Angebot und Nachfrage oder dem Ölpreis.

Wie können nachwachsende Roh- und Reststoffe bestmöglich verwertet und Erzeuger und Abnehmer optimal vernetzt werden, sodass Handel, Umwelt und Gesellschaft davon profitieren?

Zum Beispiel durch die „Digitale Rohstoffbörse für nachwachsende Rohstoffe“. Die Plattform ist ein innovativer Ansatz im Bereich Ressourceneffizienz. Sie erfasst in digitaler Form Roh- und Reststoffe und wertet deren Verfügbarkeiten mittels Verwendung künstlicher Intelligenz aus. Ich halte diesen Ansatz sowohl für extrem innovativ wie auch gleichzeitig für absolut praxisrelevant und sehe sie als einen Meilenstein auf dem Weg in eine völlig neue Ära der Optimierung von Roh- und Reststoffkreisläufen – bis auf Bürgerebene. Sie wird ganz andere Nutzungsoptimierungen und Stoffkreisläufe begründen – wiederum in Korrelation mit der Entwicklung neuer Technologien auf dezentraler Ebene.
Der jetzt inkludierte Ansatz des KErn, neben den bekannten Akteuren wie Landwirtschaft, Lebensmittelindustrie usw., auch die Obst- und Gartenbauvereine als Mittler auf der Bürgerebene einzusetzen, verspricht aus meiner Sicht eine enorme Breitenwirkung des Projekts. Der Politik ermöglicht dies in einmaliger Art und Weise, die Digitalisierung in die Dörfer, Vereine und an die Bürger heranzutragen – in praxistauglicher Art und Weise. Eine ökonomische Plattform kann die Vernetzung von Akteuren beschleunigen und die Kommunikation fördern. Wichtig wird es in der Anfangsphase sein, Kollaborationen zu bilden zwischen Nutzern und den Experten, die die Plattform programmierungstechnisch gestalten. Beide Seiten müssen sich hier verstehen lernen.
Digitalisierung bedeutet eben nicht nur, was mein GPS-System gerade anzeigt. Die Digitalisierung bedeutet den größten Bruch in der Geschichte der technischen und gesellschaftlichen Entwicklung. Vertragsschlüsse, Zahlungsflüsse, Logistikketten – viele wirtschaftliche Prozesse, auch auf Verbraucherebene, werden durch die Digitalisierung komplexer, aber auch vereinfacht.

Klimaschutz und Ernährung ist ein viel diskutiertes Thema. Wie wichtig ist für Sie persönlich eine gesunde und nachhaltige Ernährung?

Für mich ist gesunde Ernährung sehr wichtig, da ich am eigenen Leib erleben durfte, was das bedeutet: Ich hatte Diabetes Typ 2. Die Ernährungsumstellung auf vegane Ernährung hat mir geholfen, bereits nach ein paar Monaten auf Medikamente verzichten zu können. Die Ernährung ist der zentrale Punkt unserer Gesundheit. Meine Frau und ich interessieren uns sehr für die vegane Ernährung, nachdem wir ca. 30 Jahre als Vegetarier gelebt haben.
Als gelernter Landschaftsgärtner und Absolvent der FH Weihenstephan im Bereich der Landschaftsarchitektur ist mir auch besonders die Qualität der biologisch erzeugten Lebensmittel wichtig. Leider übersehen wir bei aller Technik oft die Bodenqualität – Basis der Fruchtbarkeit und der Qualität der Lebensmittel. Das Wort Lebensmittel sagt es eigentlich am besten aus – ein Mittel zum Leben.
Als Veganer liegt mir das Wohl unserer Mitgeschöpfe natürlich am Herzen. Wie wir mit Ihnen umgehen, haben sie nicht verdient. Durch die schleichende Veränderung in unserer Landwirtschaft und deren Auswirkungen auf Naturhaushalt und Landschaftsbild übersehen wir schnell den Verlust an Lebensqualität auch für uns Menschen. Mir fällt das besonders auf, wenn ich beruflich wieder in der Schweiz war, deren Landwirtschaft besonders kleinteilig ist. Lebensmittel haben dort regional und von der Wertschätzung eine viel höhere Bedeutung als bei uns.

Ich darf umgekehrt auch eine Frage stellen. Was ist besser für die Umwelt? Man fährt ca. 5 Kilometer zum nächsten Supermarkt – oder man geht zu Fuß? Die Antwort fällt hier leider vollkommen anders aus als erwartet: Wenn man die verbrauchten Kalorien aufgrund des 5 Kilometer langen Fußmarsches durch tierische Produkte kompensiert, ist die Fahrt mit dem Pkw ökologisch günstiger. Die Produktion tierischer Produkte (man spricht hier von Lebewesen) erzeugt solch hohe CO2-Werte, dass die Autofahrt ökologisch günstiger ist.
Letzthin habe ich in der Wochenzeitschrift „Die Zeit“ vom 04.11.2018 einen Satz des Journalisten Tobias Haberkorn zum Thema Klimawandel gelesen: „Der Mensch kann sich um sich selbst kümmern, um seine Familie, seine Freunde, vielleicht sein Land. Um seinen Planeten offenbar nicht. Der Klimawandel ist zu groß für unsere Wahrnehmung.“ Da ist wohl viel Wahres dran. Ernährung und Klimaschutz sind nicht zu trennen. Wir hier sind beim Klimawandel eher auf der „besseren Seite“, ein Geschäftspartner von uns aus Bangladesch ist hingegen bereits dabei, große Pumpsysteme aus Europa zu ordern. Erste Städte legen Gräben mit riesigen Pumpsystemen an, der Meeresspiegel steigt. Die Bevölkerung wächst, und gleichzeitig gehen die Ackerflächen aufgrund von Versalzung durch den Meeresspiegelanstieg zurück.
Überhaupt, die Ernährung ist der Schlüssel für unsere gesellschaftliche und persönliche Entwicklung. Leider sieht die Politik die Ernährung nur als Art „Mittel zum Zweck“ an und erkennt nicht deren originäre Bedeutung als Mittel zum Leben.

Sie sind sehr verbunden mit Ihrem Heimatlandkreis Rottal-Inn. Was schätzen Sie an den Menschen in dieser Region?

Ja, ich bin sehr verbunden mit meiner Heimat und habe mein ganzes Leben dort verbracht – wenn ich Zuhause war, ich war nämlich häufig unterwegs. Gerade sprechen wir mit dem Kreisverband des Obst- und Gartenbauvereins Rottal-Inn darüber, als Impulsgeber an der Entwicklung der Plattforminhalte mitzuarbeiten. Dieser verfügt alleine über ca. 9.600 Mitglieder und 37 Ortsverbände. Ich bin sehr erstaunt über die Präsenz und Bedeutung des Obst- und Gartenbauvereins für unsere Region.
Zum Schluss möchte ich noch ein Zitat anfügen, es stammt von dem Philosophen Arthur Schopenhauer, ich verwende aber gerne eine einmal gelesene englische Übersetzung, weil diese es aus meinem Gefühl am besten trifft: “Most people take the limits of their vision to be the limits of the world, few do not – join them.”